Aus dem Buch "Lebendige Sprachinseln"
ZAHRE / SAURIS -
Deutschsprachige Gemeinschaft in der Provinz Udine
Zahre: Blick auf die Unterzahre; im Hintergrund der Kirchturm von S. Osvaldo
Im Jahr 1871 beschrieb Angelo Arboit das Gebiet von Zahre/Sauris folgendermaßen: »Es gibt keine bergigere Stätte als diese im Karn und auch keine, die weiter von menschlichen Gemeinschaften entfernt wäre. Ob man nun von Sappada, Mione, Ampezzo oder Forni ausgeht, zwischen denen Zahre liegt, benötigt man nicht weniger als vier Stunden, um es zu erreichen«1. Diese Worte fassen zusammen, wie die Gegend in der zweiten Hälfte des 19. Jh. einem von auswärts kommenden Besucher erscheinen musste. Das Sauris Tal liegt im westlichen Teil der Karnischen Alpen in einer Senke, die sich in Längsrichtung entlang dem Oberlauf des Wildbachs Lumiei erstreckt2. Im Osten grenzt es an die Region Venetien – die Provinz Belluno, genauer an die Gemeinde Vigo di Cadore, die über den Razzo Sattel (1724 m) erreichbar ist. Im Süden trennt es ein Bergkamm – zwischen dem Monte Tinisa (2100 m) und dem Monte Bivera (Veisperkhouvl, 2474 m) – vom oberen Tagliamento Tal und von den Gemeinden Forni di Sopra, Forni di Sotto und Ampezzo. Mit dieser letzten Ortschaft ist das Sauris Tal durch den Pass des Monte Pura (Perkh) und die Schlucht des Lumiei (Lunte) verbunden. Im Westen wird es vom Canale di Gorto abgegrenzt, während sich, als Grenze zur Gemeinde Ovaro und dem Val Pesarina, in Richtung N NW ein weiterer Bergkamm vom Monte Col Gentile (2075 m) bis zum Pezzocucco (1914 m) zieht.
Das Tal liegt über 1000 m hoch; die Wasserscheide, die es umgibt, verläuft im Verhältnis zu den durchschnittlichen Erhebungen Friauls auf großer Höhe und fällt nie unter die 1428m des Pura Passes ab.
Die zahlreichen Wasserläufe (neben den Wildbächen Lumiei, Poch, Plotten, Novarza mit ihren Zuflüssen) durchdringen bloß zum Teil den Boden der Senke, der vorwiegend aus dolomitischem und bituminösem Kalkstein besteht und oft von Moränengeröll und Schuttschichten bedeckt ist. Wenn wir einige Zonen ausschließen, die – besonders in Richtung Razzo Pass und Cadore – Erosionserscheinungen unterliegen, weist die Landschaft sanfte Züge auf, wobei sich weite Baum und Weidezonen abwechseln; dies gilt vor allem für die Sonnenseite, wo sowohl ständige als auch vorübergehende menschliche Siedlungen entstanden sind und wo sich der Großteil der Almen ausbreitet. Auf dieser Hangseite dominieren die Weiden, während der Waldgürtel an manchen Stellen unter 1500 m liegt, während auf der Südseite die obere Baumgrenze über 1700 m erreicht. Eines der Elemente, die heute die Landschaft von Zahre/Sauris kennzeichnen, ist der See. Dieser Stausee entstand durch den Damm, der zwischen 1941 und 1948 im ersten Abschnitt der Lumiei Schlucht gebaut wurde. Mit einer Fläche von über 1,6 km2 bedeckt er den gesamten Talboden.
Das Gebiet der Senke wird nur zum Teil von der Gemeinde Zahre/Sauris verwaltet, während der Rest auf sieben angrenzende Gemeinden aufgeteilt ist. Die ansässige Bevölkerung erreicht knapp über 400 Einwohner. Zahre besteht aus drei Hauptorten. Dörf/Sauris di Sotto, wo die Gemeinde ihren Sitz hat, liegt auf 1214 m Höhe am westlichen Rand eines ausgedehnten Schwemmlandes, das einst als Ackerland diente, vor einer bescheidenen Erhebung, und wird von der Kirche S. Osvaldo überragt. Weiter im Westen erstreckt sich auf einer Reihe von Terrassen am Südhang des Monte Morgenleit Plozn/Sauris di Sopra, das mit seinen 1400 m die höchstgelegene ständige Siedlung der Region Friaul Julisch Venetien ist. Auf 1236 m breitet sich in der Talsenke, die der Rio Plottenpoch bildet, der östlichste Ort der Senke, Lateis (Latais), aus. Er entstand als vorübergehende Siedlung von Sennhütten, die sich später in ständige Unterkünfte verwandelten. Der Charakter der Streusiedlung zeugt noch von der ursprünglichen Bestimmung. Zu diesen drei Weilern, in denen etwa 95% der Bevölkerung wohnen, kommen die beiden Ortschaften Velt (1270 m) und La Maina (Ame Lataise, 1020 m) hinzu. Dieser letztgenannte Ort, der sich anfänglich am Talboden befand, wurde nach dem Bau des Staudammes in erhöhter Lage wieder errichtet.
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1 A. Arboit, Memorie della Carnia, Bologna, Forni, 1871, S. 224
2 Für eine zusammenfassende Beschreibung der geomorphologischen und klimatischen Aspekte des Gebietes von Zahre/Sauris s. S. Zilli, Il paesaggio della conca di Sauris, in D. Cozzi - D. Isabella - E. Navarra (Hg.), Sauris/Zahre. Una comunità delle Alpi Carniche, Udine, Forum Editrice Universitaria Udinese, 1998, S. 19-27, auf den hier weitgehend Bezug genommen wird.
Das obere Lumiei Tal war der Bevölkerung der angrenzenden Täler schon weit vor dem 13. Jh., der Zeit der Besiedlung durch deutschsprachige Bevölkerungsgruppen, bekannt. Das beweist die Tatsache, dass zu jener Zeit die Wälder und Weiden der Senke bereits den umliegenden Dörfern zugewiesen waren (was erklärt, warum die Gemeinde Zahre/Sauris bloß einen Teil des Gebietes der Senke verwaltet). Die frühe Erschließung ist auch aus den Ortsnamen ersichtlich1. Auf Italienisch und Friaulisch heißt die Ortschaft Sauris, auf Deutsch die Zahre, im Dialekt von Zahre de Zahre. In den älteren Urkunden scheinen die romanischen Formen Sauras, Saures, Saurya und die deutsche Form Zeer auf2. Von den beiden Formen Saurya und Zahre ist die erste die ältere, während die deutsche Form als »Entlehnung mit Ersetzung des Konsonanten am Wortbeginn und darauf folgender Schaffung der bairischen Monophthongierung von [ au ] zu [ a: ] anzusehen ist, die demnach zur Zeit der Besiedlung noch nicht abgeschlossen war«3. Wann und wie erfolgte nun die Besiedlung?
In der kollektiven Vorstellung der Bewohner von Zahre/Sauris leben noch einige Sagen, die mit leichten Abweichungen von zwei deutschen Soldaten berichten, welche aus ihrer Heimat geflohen waren und in diesem verborgenen, wilden Tal Schutz gesucht hatten. Anfänglich lebten sie von der Jagd, dann begannen sie unter großer Mühe und tausend Schwierigkeiten mit der Rodung des Waldes, um Ackerland zu schaffen4. Der Geistliche von Zahre/Sauris Luigi Lucchini führte an, dass die beiden Deutschen geflohen waren, »man weiß nicht recht aus welchem Teil Deutschlands (vermutlich aus Kärnten oder Tirol), um sich der harten Last des Militärdienstes zu entziehen«; er verband diese Jahrhunderte alte Überlieferung mit der Erinnerung an eine Prozession, die die Bevölkerung von Zahre/Sauris alljährlich in die Kärntner Ortschaft Heiligenblut (Sagritz) unternahm, wo sich eine berühmte Wallfahrtskirche befindet5. Nach einer der Varianten der Gründungssage sollen die beiden Gründer in der Ortschaft Raitrn (bei Dörf/Sauris di Sotto) angekommen sein und dort die erste Hütte errichtet haben; wenige Jahre später soll einer der beiden weggezogen sein und seine Wohnstatt in der Ortschaft Rikelan (nahe bei Plozn/Sauris di Sopra) errichtet haben. Eine weitere Version besagt, dass es sich um drei Flüchtlinge handelte, die zuerst die Berge von Sappada erreicht hatten; da sie sich jedoch dort nicht sicher fühlten, setzten sie ihre Reise bis zum Lumiei Tal fort, das sie eben wegen seines wilden Charakters wählten. Bei dieser Fassung soll sich die dritte Person am Ort namens Taitce gorte (deutscher Garten) in der Zone von Lateis angesiedelt haben.
Wenn wir von den faszinierenden, blumigen Beschreibungen der Sagen auf den Boden der Geschichte übergehen, müssen wir anerkennen, dass die ältesten Urkunden (die unter anderem nur auszugsweise oder als Hinweise aus zweiter Hand bekannt sind), nicht viel zum Ursprung und zur frühen Entwicklung der Gemeinschaft von Zahre/Sauris sagen. Die erste, verloren gegangene Urkunde, die auf ihr Bestehen hinweist, geht auf 1280 zurück6. In dieser Akte gibt Awardo, Sohn von Raypreto von Socchieve an, dass er von der Kirche von Aquileia, neben anderen Gründen und Besitzungen, eine aira von Habichten und eine andere von Sperbern als Lehen »in contrata de Sauris« übernommen hat. In einer anderen, ebenfalls verloren gegangenen Urkunde von 1306 wird zum ersten Mal die Ortschaft Plozn/Sauris di Sopra erwähnt: Ein gewisser Nicolò, Sohn von Adra boreto von Zahre/Sauris, wurde vom Patriarchen von Aquileia mit einem Widum »in villa de Plazas, in loco qui dicitur Sauras« belehnt7. Von 1318 stammt die erste noch bestehende Urkunde, die ebenfalls eine Belehnung mit einem Grundstück von Zahre/Sauris betrifft8.
Diese knappen Daten passen zum Bild Friauls der Zeit vom 13. bis 15. Jh., als die weltliche und religiöse Macht in Händen der Patriarchen von Aquileia lagen, die ihr weites Gebiet durch ein dichtes Netz kirchlicher und weltlicher Feudalherren, zumeist deutscher Volkszugehörigkeit und Sprache, verwalteten9. Es ist demnach verständlich, dass die Kirche von Aquileia als Lehen einen Teil des Gebietes von Zahre/Sauris den Herren von Socchieve zuwies, die im Bezirk herrschten, zu dem das Lumiei Tal geographisch gehörte. Es ist auch offenkundig, dass zu dem Zeitpunkt das Gebiet bewohnt war, wenn dort jemand Raubvögel für die Jagd züchtete. Noch beweiskräftiger ist in diesem Sinn die Urkunde von 1306, die das Vorliegen einer Villa bescheinigt. Zu den juristisch admi nistrativen Akten kamen im Laufe der Zeit die kirchlichen Unterlagen hinzu. Leider zerstörte ein Brand 1758 das Pfarrarchiv. Eine gewisse Zahl erhalten gebliebener Urkunden ermöglicht eine Rekonstruktion der frühen Phasen der religiösen Geschichte der Gemeinschaft, die, wie wir sehen werden, eng mit der Frage des Ursprungs verbunden ist. Eine Bulle von 1328 gewährte den Gläubigen, die zu bestimmten liturgischen Anlässen die beiden Kirchen S. Osvaldo und S. Lorenzo besuchten, vierzig Tage Ablass10. In einer zweiten Urkunde vom 22. Juli 1344, die noch im Pfarrarchiv von Zahre/Sauris verwahrt ist, bestätigt Giovanni, Bischof von Parenzo und Patriarchalvikar, der Kirche S. Lorenzo die vierzig Tage Ablass11.
Diese Patriarchalzugeständnisse zielten auf die Schaffung eines Pfarrbenefiziums ab, das der Gemeinschaft, die einige Monate im Jahr von der Außenwelt abgeschnitten war, die Erhaltung eines Kuraten und die Pflege der beiden Gotteshäuser gestattete, obwohl sie formal der Pfarrkirche von Castoia (Socchieve) unterstand. So gewährte 1354 der Patriarch Nicolò »zwei Teile des Zehnten der Villa von Sauris dem ehrwürdigen Geistlichen Tommaso von Contergnaco, Pfarrer der Kirche von Sauris, für seinen Unterhalt«12. Der nachfolgende Patriarch, Ludovico Della Torre, bestimmte 1364 den gesamten Zehnten für die Erhaltung eines Kuraten in den Kirchen S. Lorenzo und S. Osvaldo. Dieses Zugeständnis wurde 1376 durch den Patriarchen Marquard von Randeck für die Erhaltung eines Geistlichen in der Pfarrkirche von Zahre/Sauris bestätigt.
Die Anerkennung der besonderen Erfordernisse und Merkmale der Pfarrkirche wird noch offenkundiger durch eine Urkunde von 1470, mit der das Patronatsrecht des Volkes bei der Wahl des Kuraten durch die Familienoberhäupter bestätigt wurde – ein Recht, das bis zu den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts wahrgenommen wurde13.
Die Bulle von 1328 bestätigt, dass bereits damals zwei Gotteshäuser in Dörf/Sauris di Sotto und Plozn/Sauris di Sopra, die den Heiligen Oswald und Laurentius geweiht waren, bestanden. Während die Verehrung des Hl. Laurentius – Diakon der römischen Kirche und Märtyrer im 3. Jh. – in Italien seit der Antike gut belegt ist, ist es angezeigt, kurz bei der Gestalt des Hl. Oswald und bei den Geschehnissen zu verweilen, auf die sich seine Verehrung stützt, da sie eng mit der Frage des Ursprungs und der Geschichte von Zahre/Sauris verbunden sind.
Der erste, der über das Leben von Oswald schrieb, war Hochwürden Beda in der Historia ecclesiastica gentis Anglorum14. Nach Bedas Angaben war Oswald zwischen 633 und 643 König von Northumberland, einer Region im Norden Englands. Mit der Unterstützung durch den Bischof Aidan bekehrte er Northumberland und Wessex und heiratete die Tochter des Königs von Wessex. Er wurde von seinem Volk vor allem wegen seiner Tugend der Bescheidenheit und Großzügigkeit sehr verehrt. Es heißt, dass er einst bei einem Bankett einen Silberteller zerschlagen ließ, um die Stücke den Armen zu schenken; dies trug ihm die Prophezeiung des Bischofs Aidan ein, dem zufolge seine rechte Hand für immer unverwest bleiben würde. Oswald starb in der Schlacht von Maserfield am 5. August 643 durch die Hand des heidnischen Königs Penda. Sein zerstückelter Körper wurde ein Jahr danach von seinem Bruder gefunden, der den Kopf in Lindisfarne, die Hände und Arme in Bamborough begraben ließ. Die Verehrung des Hl. Oswald verbreitete sich rasch, genährt durch die Nachricht (wie Beda berichtet), dass durch die Fürbitte des Heiligen das Kloster von Selsey in Sussex vor einer Pestseuche verschont geblieben wäre. Bei den späteren Chronisten bereicherte sich die Oswald Legende um wundersame Elemente und Einzelheiten, die darauf abzielten, sein adeliges Geschlecht und seinen hochstehenden Charakter zu betonen. Er nahm die idealen Züge eines mittelalterlichen, schönen und tapferen Ritters an, der bereit war, sich bis zum Tod für die Rettung seines Volkes und für den Glauben aufzuopfern.
BILD EINFÜGEN (Zahrer Kirchenchor)
Im 15. Jh. verbreitete sich im deutschen Raum ein Ritterepos, das sich aus Quellen aus dem 13. Jh. ableitete. Es wird darin die Geschichte Oswalds erzählt, der in die Tochter eines heidnischen Königs verliebt ist. Um sie heiraten zu können, entführt er sie, wobei ihn bei dem Unternehmen ein sprechender Rabe unterstützt, der dem Mädchen Oswalds Botschaften und den Verlobungsring bringt. In dem Epos wird auch die Großzügigkeit des Helden betont. Diese Fassung der Sage hat zur Darstellungsweise des Heiligen beigetragen, dessen Bild in Zahre/Sauris und in fast ganz Norditalien folgende Elemente auf weist: Rüstung und Schwert (die an sein Heldentum in der Schlacht und beim Martyrium erinnern), einen purpurnen Mantel, Krone und Zepter (Königssymbole) und einen auf der linken Hand sitzenden Raben, der im Schnabel einen Goldring trägt. Auf dieselbe Sage ist die Beliebtheit des Heiligen im Süden Deutschlands, vor allem in der Alpengegend zurückzuführen.
In Zahre/Sauris wird seit urdenklichen Zeiten eine Reliquie des Hl. Oswald, der Überlieferung nach ein Daumen, verwahrt. Es ist nicht bekannt, ob sie sich unter den multas reliquias et sanctitates befand, die der Bischof Nicolò in den Kirchen von Zahre bei ihrer Weihe im Jahr 1361 fand15. Fest steht, dass der Ruf, den die Wallfahrtskirche S. Osvaldo in den vergangenen Jahrhunderten genoss, auf das Vorliegen der Reliquie zurückzuführen ist. Über die Umstände, unter denen sie nach Zahre gelangt ist, haben Gelehrte des 18. Jh. ausgiebig diskutiert16. 1750 schrieb Mons. Carlo Camuccio: »vor vielen Jahrhunderten ließ Gott von einem deutschen Jäger einen Fingerknochen des Hl. Märtyrers Oswald in die Kirche der Villa Sauris, in den höchsten Bergen von Carnia, Diözese von Aquileia im venetischen Staat gelegen, bringen«17. Die Erzählung stimmt mit den lokalen Gründungssagen überein, in denen sie vielleicht sogar ihren Ausgang findet. Einige Zeit später bot der Abt Della Stua eine andere Version der Geschehnisse, die er nach eigener Aussage mündlicher Überlieferung entnommen hatte: Die Reliquie soll ein karnischer Soldat gebracht haben, der bei der Schlacht von Maserfield gekämpft und nach dem Tod des heiligen Königs einen Finger abgeschnitten hat, um ihn als Erinnerung mit zunehmen18. So taucht wieder die Gestalt des Soldaten auf, nun nicht mehr ein deutscher, sondern karnischer, der also der keltischen Bevölkerung angehörte, die Friaul vor der römischen Invasion bewohnte19. Dem Della Stua schloss sich Niccolò Grassi an, der in einer historischen Operette über Karn in Anlehnung an die Reliquie von Zahre/Sauris den Ursprung der deutschen Sprache dieser Gemeinschaft auf die alten Zimbern zu rückführte, die die Niederlage gegen die Römer gezwungen hatte, in den Alpentälern Zuflucht zu suchen20.
Der Übergang Friauls von der Republik Venedig auf die Habsburger, der durch den Vertrag von Campoformido (1797) sanktioniert wurde, erregte wegen der Sprachinseln germanischen Ursprungs in der Region das Interesse der akademischen deutschsprachigen Welt. So befassten sich mit Zahre/Sauris und seiner Sprache Josef Bergmann, Dr. Lotz, Carl von Czoernig, die allesamt für den Ursprung und die Kultur einen deutschen Ausgangspunkt annahmen. Bergmann betrachtete die Bewohner von Sauris als Überbleibsel einer altdeutschen Bevölkerung in Friaul. Dr. Lotz, der unter dem Pseudonym Mupperg schrieb, schlug 1876 für die Sprache von Sauris eine Ableitung vom Gotischen oder Langobardischen vor. Zur Untersuchung von Muppergs Theorie begab sich Baron von Czoernig 1880 eigens von Triest nach Zahre/Sauris; er erkannte in der lokalen Sprache eine franko bairische Wurzel und unterstrich die Ähnlichkeit mit der Gottschee Sprache, einer deutschen Sprachinsel von Krain21.
Einem Forscher von Zahre/Sauris verdanken wir jedoch die erste gründliche linguistische Untersuchung, die sich auch für die historische Rekonstruktion als sehr wertvoll er wies. Im Saggio di dialettologia sauriana (1882) bezeichnete der Priester Luigi Lucchini die Dialekte der Kärntner Täler von Möll und Lesach als die Sprachformen, die jenen des Dialekts von Zahre/Sauris am nächsten standen22. In demselben Werk sprach er, wie bereits erwähnt, von der zu seiner Zeit »noch frischen« Tradition, der zufolge einst die Bevölkerung von Zahre/Sauris alljährlich in einer Prozession nach Heiligenblut (Sagriz) in Kärnten zog– ein Brauch, dessen Ursprung nicht rekonstruiert werden konnte, von dem aber manche annahmen, »sie könnte eine Beziehung zum Ursprung von Zahre haben«. Nach Anerkennung der Zugehörigkeit der deutschen Sprachformen von Karn zum hochdeutschen Zweig identifizierte auch der Geograph Giovanni Marinelli aufgrund des Dialekts, der Sagen und Gebräuche, als Ursprungsgebiet der Gemeinschaft von Zahre einige Täler Tirols oder des oberen Kärntens (Pustertal, oberes Drautal), von denen die ersten Siedler im Hochmittelalter, vielleicht mit der Unterstützung durch einen der deutschen Patriarchen der damaligen Epoche, weggezogen wären23. Diese letzte Hypothese wurde in jüngerer Zeit von Nimis und von Toller wieder aufgegriffen, die die Gründung von Zahre/Sauris unter die Wanderbewegungen einordnete, »die die Patriarchen, welche die ihnen unterworfenen Länder durch Gründung zahlreicher deutscher und slawischer Kolonien neu bevölkern wollten, angeordnet hatten«24.
Im Laufe des 20. Jh. wurde die Frage des Ursprungs mit relativer Sicherheit durch Sprachwissenschaftler geklärt, die beim Weiterbeschreiten des von Pater Lucchini vor gezeichneten Weges die Daten verwendeten, die aus ihren Studien über die Entwicklung des Dialekts von Zahre/Sauris hervorgegangen waren, und somit die kargen Zeugnisse des Archivs ergänzten.
Zu verschiedenen Zeiten gelangten Giovanni Lorenzoni, Maria Hornung und Norman Denison zu grundsätzlich übereinstimmenden Ergebnissen hinsichtlich der Stationierung von Siedlern im oberen Lumiei Tal, die aus einem Gebiet zwischen dem Pustertal, dem Lesachtal und dem Oberdrautal, genauer aus dem westlichen Teil des Lesachtals, nahe der alten Tiroler Kärntner Grenze stammten25. Zur Erhärtung dieser These wies Lorenzoni auch auf die starke Verehrung des Hl. Laurentius und des Hl. Oswald in den Orten St. Lorenzen und Kartitsch hin. Besonders aufschlussreich sind die Hinweise von Denison auf die Koseform im Dialekt von Zahre/Sauris khla kartitschar (kleiner Kartitscher) für »Knabe« und auf den Übernamen einer Familie von Dörf/Sauris di Sotto, Tilgar, nach der eine Rinne mit lockerem Boden in unmittelbarer Nähe des Ortes benannt wurde (til garlie). Denison weist darauf hin, dass die Bewohner von Tilliach heute noch »Tilgar« heißen und sieht darin die Bestätigung, dass die Bewohner von Sauris zumindest teilweise aus dem Gebiet von Kartitsch und Tilliach stammen. Die Besiedlung datiert Lorenzoni auf die erste Hälfte des 13. Jh., während Hornung sie auf ca. 1250 zurückführt; Denison erachtet es für möglich, dass die Zuwanderung einige Jahrzehnte gedauert hat (etwa zwischen 1250 und 1280).
Schließlich seien die letzten beiden Hypothesen zur Gründung der Gemeinschaft von Sauris angeführt, die sich zwar nicht auf konkrete Elemente stützen, aber doch einen gewissen Reiz haben.
Giordano Brunettin fügte die Besiedlung der Senke in das politisch wirtschaftliche Bild des Raumes, der um die Mitte des 13. Jh. Friaul, Kärnten und Tirol umfasste26. Von 1218 bis 1251 war der Patriarch von Aquileia (in der damaligen Zeit die höchste kirchliche und politische Würde Friauls) Berthold von Andechs aus der Familie der Herzöge von Merania; diese waren Eigentümer großer Besitzungen in Deutschland und Krain, Marchesi von Istrien und verschwägert mit den Grafen von Görz, die große Zonen des westlichen Kärntens und das gesamte Pustertal beherrschten und deren Nachkommen auch in Tirol regieren sollten. Kurz, zur Hälfte des 13. Jh. bildete sich jenseits der Alpen eine weite Herrschaft durch blutsverwandte Häuser, mit der Möglichkeit neuer wirtschaftlicher Vorhaben, wie Viehzucht und Landwirtschaft in höheren Lagen durch die großen Benediktinerklöster, die mit den herrschenden Häusern verbunden waren. Das Kloster Weingarten bei Ravensburg hatte im Laufe des 12. und 13. Jh. ausgedehnte Ländereien im westlichen Kärnten und in Tirol erworben. Laut Überlieferung wurde eine Reliquie des Hl. Oswald eben in dieses Kloster überführt, das in seinen Ländereien die Verbreitung von Kapellen, Kirchen und Dörfern mit dem Namen des englischen Heiligen gefördert haben soll. In Tirol wirkten die Gründe von Weingarten anziehend für die Herren der Grafschaft, was heftige Streitigkeiten zur Folge hatte. Möglicherweise führten die Konflikte auch in Kärnten zu Übergriffen und Gewalttaten in den Besitzungen des Klosters. Eben dieser Umstand könnte eine Gruppe von Bauern der Abtei, die im Lesachtal wohnten, dazu bewogen haben, in einem entfernten Tal des Patriarchats von Aquileia Zuflucht und friedlichere und günstigere Lebensbedingungen zu suchen. Zum Schutz der Siedler könnte die Abtei von Moggio, ein mächtiges Klosterzentrum am Fuße der friaulischen Alpen, eingegriffen haben. Brunettin schließt eine weitere Variante dieser Hypothese nicht aus: Die Gründung einer neuen Gemeinschaft könnte im Zusammenhang mit der allgemeinen, in Deutschland im 12.–13. Jh. verzeichneten Tendenz zur Besied lung von Außengebieten des Reichs, die frei von juristischen und administrativen Bin dungen waren, gesehen werden27.
Auf den Klosterbereich bezog sich auch Stefano Dall’Oglio, um die Präsenz der Reliquie des Hl. Oswald in Zahre/Sauris und im Allgemeinen auf dem europäischen Kontinent zu erklären30. Zuvor hatten wir die Bedeutung des Bischofs Aidan bei der Bekehrung von Northumberland, der englischen Region erwähnt, in der Oswald Herrscher war. Aidan gründete das Kloster von Lindisfarne (nicht weit von der Nordküste Northumberlands entfernt), dessen scriptorium einige der reichsten Miniaturkodizes der Zeit hervorbrachte. Im 8. Jh. zogen die irischen und schottischen Mönche auf das europäische Festland, wo sie Klöster gründeten und dabei ihre Schriften, Gedankengut und religiösen Sitten verbreiteten. Diesen Mönchen könnte es zu verdanken sein, dass die Reliquien ihrer Heiligen nach Mitteleuropa gelangten, unter denen aus historischen, religiösen und kulturellen Gründen Oswald eine besondere Stellung einnahm. Dall’Oglio griff auch auf die Hypothese des Marinelli zurück, dem zufolge die Ansiedlung von Bauernfamilien deutschen Ursprungs in den Bergen Karns und Sloweniens durch die Patriarchen von Aquileia gefördert wurde. Während einer dieser »erzwungenen Auswanderungen« wären sowohl die frühen Einwohner von Zahre/Sauris, als auch die Reliquie in das obere Lumiei Tal gelangt.
Die frühen historischen Urkunden und die Hinweise, die aus den Gründungssagen zu entnehmen sind, lassen die Annahme zu, dass die Senke von Zahre/Sauris in den frühen Anfängen von wenigen Familienverbänden bewohnt war. Nach Lorenzoni sind von sechs deutschen Familiennamen, die ab 1758 in den Pfarrregistern aufscheinen (dem Jahr des Brandes, der das Pfarrarchiv mit allen früheren Registern vernichtete) nur drei auf die Siedlungsperiode rückführbar29.
Diese ersten Familien gründeten die beiden Ortschaften Dörf (Sauris di Sotto) und Plozn (Sauris di Sopra) und widmeten sich der Viehzucht, der Landwirtschaft und der Jagd30. Die Landschaft von Zahre/Sauris mit weiten Weiden auf den Anhöhen und mit Wiesen und Feldern um die Ortschaften, die dem Wald mühsam abgerungen wurden, weist auf Jahrhunderte alte Methoden der Weide und Ackerbaukultur hin. Neben den Erzeugnissen aus der Viehzucht war das Einkommen der Gemeinschaft auf den Anbau weniger Getreide und Gemüsesorten beschränkt, die sich für das Klima und die Höhe eigneten (Buchweizen, Roggen, Hafer, Gerste, Saubohnen, Kopfkohl)31. Zur Beschaffung des nicht vor Ort erhältlichen Rohmaterials (vor allem Salz, das für die Konservierung der Nahrungsmittel unerlässlich war) nutzte man den Tauschhandel mit den nahe gelegenen Gemeinschaften.
Man kann sich leicht vorstellen, dass die frühen Siedler die dichten Wälder des Tales nutzten, um die ersten Gebäude zu errichten (Häuser, Ställe und Scheunen, Kirchen oder Kapellen), und sich dabei nach den Bautechniken und nach der Bauweise ihres Herkunftslandes richteten. Noch heute ist die Ähnlichkeit zwischen den Gebäuden von Zahre/Sauris und jenen des Lesachtals oder des Gailtals offenkundig, vor allem was die Sennhütten (anschichtn) und die Heuschuppen betrifft, die außerhalb der unmittelbaren Ortsbereiche über die Wiesen verstreut liegen und demnach weniger den Änderungen unterworfen sind, die dem Wunsch nach Anpassung an die Bauweise der nahe gelegenen Täler entstammen.
In politisch administrativer Sicht folgt die Geschichte von Zahre/Sauris den Geschehnissen um einen Großteil Friauls, das von den Patriarchen von Aquileia im 13. und 14. Jh. regiert wurde, 1420 unter die Herrschaft der venezianischen Republik gelangte, 1797 mit dem Frieden von Campoformido an Österreich ging, unter dessen Oberhoheit es (abgesehen von einer kurzen Unterbrechung durch die französische Herrschaft zwischen 1805 und 1814) bis 1866 blieb, als es dem Königreich Italien angeschlossen wurde. Im Rahmen Karns hingegen befand sich die Gemeinschaft von Zahre/Sauris im Spätmittelalter und in der Neuzeit in einer besonderen Situation. Ausgenommen Forni di So pra und Forni di Sotto (die dem mächtigen Herrscherhaus der Savorgnan unterstanden) war der Rest im Karn administrativ in vier Bezirke (Socchieve, S. Pietro, Gorto, Tolmez zo) und in die Terra von Tolmezzo, die größte und zahlenmäßig stärkste Gemeinschaft und Sitz des Burgvogts, unterteilt. Wenngleich in geografischer Hinsicht die villa von Zahre/Sauris dem Becken des oberen Tagliamento und demnach dem Bezirk Socchieve angehörte, hing sie direkt von der Terra von Tolmezzo ab, gemeinsam mit den ville von Sappada, Forni Avoltri, Timau und Cleulis, die ebenfalls in Grenzgegenden oder in der Nähe der wichtigsten Pässe lagen32. In Anbetracht der ungünstigen Lage und des geringen Feldertrags wurden die Einwohner von Zahre/Sauris außerdem 1392 von der Steuer befreit33. Diese Rücksicht gegenüber der Gemeinschaft hielt unter der venezianischen Herrschaft an, wie es auch der allgemeinen von Venedig verfolgten Politik einer Achtung der Autonomie und der Vorrechte Karns entsprach.
Vielleicht trafen im Laufe des 16. Jh. oder bereits früher einige Familien von Dörf/Sauris di Sotto und Plozn/Sauris di Sopra die Entscheidung, sich ständig in den beiden östlichsten Ortschaften des Tales, Lateis/Latais und La Maina/Ame Lataise niederzulassen, die bis zu der Zeit saisonbedingt zum Stallen genutzt wurden34. Am 6. Dezember 1500 erhielten ein gewisser Leonardo Ladeyser und seine Gattin Kungundis von Rom eine Indulgenz Bulle für die Kirchen S. Lorenzo und S. Osvaldo35. Nach Denison ist Ladeyser die graphische Umschrift von Lataisar, Einwohner von Latais36. In den Unterlagen des Pastoralbesuchs von 1602 scheint jedenfalls auf, dass in Plozn/Sauris di Sopra sechzehn Herde (Familienverbände), in Dörf/Sauris di Sotto dreißig, in Lateis fünf und in Stua drei vorlagen37.
Im Laufe des 16. Jh. boten die intensive Ausbeutung der Wälder des Lumiei Tales auf der einen und die Verbreitung des Rufes des Oswald Heiligtums auf der anderen Seite der Gemeinschaft von Zahre/Sauris Gelegenheit zu häufigen Kontakten mit der Außenwelt. Im Gebiet von Zahre dehnten sich zwei Wälder aus, die banditi (der Republik Venedig zur Nutzung ihres Arsenals vorbehalten) waren. Die anderen Wälder – Eigentum der Gemeinschaft – wurden zum Teil von den lokalen Familien genutzt, zum Teil an Händler des Ortes oder an Fremde verpachtet. In jedem Fall war die Nutzung des Wal des für Zahre/Sauris, wie für alle anderen Gemeinschaften Karns, eine Quelle des Ertrags und des Wirtschaftsaufkommens (Holzfäller, Sägewerker, Arbeiter des Damm und Kanalbaus für die Flößerei, Wagner). In Zahre/Sauris soll im 16. Jh. das erste Sägewerk Karns errichtet worden sein38. Die große Nachfrage an Arbeitskräften musste neue Einwanderer in das Tal locken, wie das Vorliegen neuer Familiennamen romanischen Ursprungs in den Urkunden und Pfarrbüchern zeigt (Petris, Polentarutti, Colle, Somvilla, Lucchini, Domini).
Nach den eingangs erwähnten Pfarrdokumenten standen den beiden Kirchen von Dörf/Sauris di Sotto und Plozn/Sauris di Sopra dieselben Rechte zu, und es scheint keinerlei Vorherrschaft der einen über die andere auf. Die Pfarre war eine einzige, geführt durch einen einzigen Geistlichen, der sich mit der Seelsorge für die gesamte Gemeinschaft befasste. Ab dem 16. Jh. und durch das 17. und 18. Jh. hindurch wurde das Heiligtum S. Osvaldo dank des Rufes der Reliquie, die als wundertätig galt, zu einer der bekanntesten Stätten des Glaubens Friauls, Ziel von Pilgerzügen nicht nur aus näher gelegenen Ortschaften, sondern auch aus den venetischen Städten, besonders Venedig. Die Besucher statteten die Kirche reich mit Silberwaren und Paramenten aus und leisteten auch Spenden von beträchtlicher Höhe, die es den Einwohnern von Dörf/Sauris di Sotto gestatteten, einen neuen Geistlichen zum Vorteil des Ortes und der Besucher der Wallfahrtsstätte zu erhalten. Deshalb ersuchte die Gemeinschaft von Dörf, unterstützt von Lateis und den Weilern, 1637 erfolgreich um einen Kaplan an, der das gesamte Jahr hindurch dort wohnte. Die Errichtung der Kaplanspfründe von S. Osvaldo war der erste Schritt eines langen, erbitterten Streits zwischen den beiden größeren Gemeinschaften, der 1809 in der Verlegung der Pfarre von S. Lorenzo nach S. Osvaldo gipfelte39.
Trotz des Verlustes des Pfarrarchivs durch den Brand von 1758 liefern zahlreiche Urkunden, die vor allem in den Archiven von Udine verwahrt sind, nützliche Daten zur Rekonstruktion der Geschichte der Gesellschaft und Wirtschaft der Gemeinschaft vom 17. bis zum 19. Jh. Es ist zum Beispiel ersichtlich, dass die Geburten und Vertragsabschlüsse auf einige Monate oder Perioden des Jahres konzentriert waren40. Dies hängt vermutlich mit der saisonbedingten Abwanderung zusammen. Wie in ganz Karn war es auch in Zahre/Sauris üblich, dass die Männer fortzogen, um das magere Einkommen der Familien aufzubessern. So geschah es, dass sowohl manche Jugendliche, als auch Erwachsene im Herbst wegzogen und im späten Frühjahr oder Sommer zurückkehrten, um die Familienangehörigen in der für die Feldarbeit wichtigsten Zeit zu unterstützen. Im Jahr 1629 war zum Beispiel die Zahl der Personen, die von Zahre/Sauris fehlten, gering: 9 von 231 Einwohnern41. Fünfzig Jahre später befanden sich 25 Männer von Zahre »in Giermania«, darunter drei Brüder, »alle klein, die fortgezogen waren, um Dienste zu versehen«42. In dieser Zeit ist die Bindung zur deutschsprachigen Welt stark, was die Gewohnheit erklärt, die Kinder »zum Dienst« in österreichische Gebiete zu schicken. Vielleicht zog schon im 17. Jh. mancher Weber von Zahre/Sauris weg; vor allem im Laufe des 18. Jh. jedoch mehren sich die Hinweise auf Weber von Zahre, die in der Ebene Friauls und Venetiens arbeiteten43. Im Napoleonischen Fragebogen steht zu lesen, dass »sie im Oktober und November fortzuziehen beginnen und bis Juni wegbleiben. Sie beginnen im Alter von ca. 12 Jahren und machen bis zum Alter von ca. 50 Jahren weiter und widmen sich dem Gewerbe der Schneiderei und der Weberei«44.
Einige dieser Abwanderer wurden in anderen Orten sesshaft. Dieser Umstand ergab, gemeinsam mit anderen Faktoren, wie eine relativ niedrige Geburtenzahl und ein hohes Alter bei der Eheschließung, zumindest bis Mitte des 19. Jh. einen niedrigen Bevölkerungszuwachs, was im Einklang mit der allgemeinen Tendenz des Alpenraumes stand45. Bis 1830 war eine wesentliche Stabilität der Einwohnerzahl zu verzeichnen, die um 500 schwankte.
Die Lage änderte sich um Mitte des Jahrhunderts und zeigte in der zweiten Hälfte einen sprunghaften Anstieg. Im Jahr 1881 lebten in Zahre/Sauris 797 Einwohner, die 1901 auf 844 stiegen. Zu den Ursachen der Bevölkerungszunahme zählten die Einführung des Kartoffelanbaus, die Reduzierung der Sterblichkeitsrate vor allem unter den Kindern und der progressive Anstieg der mit Viehzucht und Almwirtschaft verbundenen Tätigkeiten. Die Verschiebung innerhalb der Weide und Feldwirtschaft zugunsten der Viehzucht und Milchverarbeitung brachte schwerwiegende Folgen für die lokale Wirtschaft46. Die Bevölkerung von Zahre/Sauris wurde zunehmend vom Außenmarkt abhängig; in dem Zusammenhang erinnert der lokale Schriftsteller Fulgenzio Schneider daran, dass »Menschen in langen Reihen, wie Prozessionen, knapp nach Mitternacht von Zahre mit entzündeten Lichtern zur Erhellung des schwer zu überwindenden Berges Pura loszogen«, ungeachtet der Kälte und des Schnees, »da die Notwendigkeit sie zwang, jeglicher Gefahr zu begegnen, um sich ein wenig Getreide zu beschaffen und speziell auch um die Händler von Ampezzo zufrieden zu stellen, die anmaßend auf die Butterlieferung warteten«47.
Von demselben Schriftsteller erfahren wir, dass in den letzten Jahrzehnten des 19. Jh. wegen der Industrialisierung die Männer von Zahre nicht mehr in die Ebene zogen, um als Weber zu arbeiten, sondern andere Ziele der Abwanderung wählten, zum Beispiel »Deutschland und Schweiz im Jahr 1888, wo sie in neun Monaten im Jahr, bis zum Ausbruch des Krieges im Jahr 1915, hintereinander schöne Saisonen erleben konnten«48. In den ersten 20 Jahren des 20. Jh. hielten sich die Auswanderer von Sauris, oft in Begleitung der Familien, in Österreich im Raum der Sägewerke von Kärnten, vor allem in Feldkirchen, und in der deutschen Schweiz auf49. Einige Familien zogen hingegen bereits ab Ende des 19. Jh. nach Argentinien, in erster Linie in die Region Chaco, wo zahlreiche Gruppen friaulischer Bauern Städte und Ortschaften gegründet hatten. Diese letzten Emigrationen, die endgültig waren, mussten als demographischer Regler wirken, wenn im Jahrzehnt 1901–1911 als Gegentendenz zum allgemeinen Bild der friaulischen Berge die Bevölkerung von Zahre/Sauris einen Rückgang erlebte.
Der Erste Weltkrieg berührte die Gemeinschaft nur am Rande, forderte aber doch einen Tribut an Opfern (sechsundzwanzig Gefallene)50. Die Zeitchronik berichtet von der Ankunft des Generals Clemente Lequio mit einer Schar von Pionieren im Jahr 1916. Während der Besetzung von 1917–1918 kam auch eine Truppe von k.u.k. Soldaten in das Tal, die Lebensmittel, Tiere und Futter erbeuteten und sakrale Bronzestücke und Kupferteile des Kirchturms der Kirche S. Osvaldo forttrugen.
In den ersten Jahrzehnten des 20. Jh. entwickelten sich Körperschaften und eine beachtliche Verbesserung der Wegbarkeit und der Kommunikationsmöglichkeiten51. Im Jahr 1905 wurde die Telegrafenverbindung mit Ampezzo geschaffen. Bereits 1898 entstand eine genossenschaftliche Molkerei in Plozn/Sauris di Sopra, der 1907 die von Dörf/Sauris di Sotto folgte. Im Jahr darauf wurde eine Konsumgenossenschaft gegründet, die dann 1920 offiziell zur heute noch bestehenden »Unione Cooperativa di Consumo« wurde52. 1918 wurde die von General Lequio angelegte Militärstraße nach Ampezzo über den Monte Pura fertiggestellt.
In der kollektiven Erinnerung der Bevölkerung von Zahre/Sauris ist das Ende der sogenannten »Isolierung« und der Eintritt in die Moderne am meisten durch den Bau der Straße des Bûs gekennzeichnet, die Zahre mit Ampezzo über die Schlucht des Wildbachs Lumiei/Lunte verband. Bereits im Laufe des 19. Jh. wand sich ein steiler Weg durch die Schlucht; Ende des Jahrhunderts verbreitete sich dann die Idee, eine Fahrstraße zu bauen, um ein Passieren des Pura Passes zu vermeiden. Erst im 20. Jh. jedoch sollten die Arbeiten begonnen werden, die unter wechselnden Fährnissen von 1919 bis 1934 anhielten53. Außergewöhnlich war der Bau der Brücke über den Lumiei, eine Anlage aus Stahlbeton, deren einziger Brückenbogen hundert Meter lang und über dem Flussbett 105m hoch war.
In den Jahren 1936 bis 1939 wurde durch die Pioniertruppen auch die Straße zum Cadore über die Hochebene von Razzo fertiggestellt.
Die relative Verbesserung der Lebensqualität reichte nicht aus, um die Auswanderung aufzuhalten, die zum Teil nach Argentinien, aber auch nach Frankreich, vor allem Montauban in Aquitanien tendierte. Im Laufe eines Jahrzehnts (1921–1931) sank die Bevölkerung von 834 auf 750 Einwohner: dieser Bevölkerungsrückgang lag spürbar unter dem Durchschnitt des friaulischen Berggebietes (– 9,0% gegenüber – 12,8%), wie auch das Wachstum der Bevölkerung zwischen 1871 und 1931 (+0,8% gegenüber +19,9%) beträchtlich niedriger war.
Interessanter als die Zahlen ist die Analyse der von den Auswanderern getroffenen Entscheidungen. Die Abreise großer Familiengruppen sowohl nach Frankreich als auch nach Argentinien war durch das Angebot landwirtschaftlicher Arbeit auf eigenem Boden bedingt. Während die Auswanderer in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg beschlossen hatten, als Holzfäller und Sägewerker in Österreich und in der Schweiz zu arbeiten, wählten sie in der Zeit zwischen den beiden Kriegen die Bauernarbeit. So zeigte sich die grundlegende Bindung an die Lebensweise, die sie im Heimatort gepflegt hatten54.
Auch der Zweite Weltkrieg betraf Zahre/Sauris nur am Rande, obgleich rund dreißig Todesopfer (Soldaten und Zivilbevölkerung) zu beklagen waren. Die grausamsten Ereignisse trugen sich 1944, vor allem in Verbindung mit den Zusammenstößen und Repressalien zwischen deutschen Truppen und karnischen Partisanen zu55. Im Dezember jenes Jahres und in den frühen Monaten 1945 stiegen Kosakenscharen und russische Truppen, die dem deutschen Heer angegliedert waren, mehrmals bis Zahre/Sauris auf, um Nahrung und Futtermittel zu suchen.
Zwischen 1941 und 1948 war die Senke von Zahre/Sauris Schauplatz eines großartigen Werks: der Bau der Wasserkraftanlage des Lumiei mit dem eindrucksvollen Staudamm, der damals mit seinen 136 m Höhe der höchste Italiens und einer der größten der Welt war. Trotz der Kriegsereignisse und der logistischen Schwierigkeiten zeigten die Arbeiten einen regelmäßigen Verlauf, abgesehen von einer Unterbrechung in der Zeit der deutschen Besetzung. Da wegen des Einsatzes an der Front vor Ort nur wenige lokale Arbeitskräfte aufzutreiben waren, wurden zwischen Frühjahr und Herbst 1943 300 neueeländische Kriegsgefangene zur Arbeit herangezogen. Einundzwanzig Arbeiter kamen bei den Bauarbeiten ums Leben. Die Häuser der Ortschaft La Maina am Talboden, der mit dem Staubecken gefüllt wurde, entstanden weiter oben am Berg neu.
In der Nachkriegszeit setzte wieder eine Auswanderung in Richtung Italien, vor allem nach Friaul ein. Diese Tendenz hatte bereits die Zeit knapp vor dem Krieg gekennzeichnet, als das Verbot einer Auswanderung ins Ausland die internen Wanderbewegungen gefördert hatte57. In der Zeit 1945–1976 wanderten rund 740 Personen von Zahre/Sauris aus. Zwischen 1951 und 1971 sank die Bevölkerung um 25%.
Diese massive Auswanderung, die für das gesamte friaulische Berggebiet galt, zeigte deutlich die Krise der traditionellen Lebensmodelle und den Bruch des internen wirtschaftlichen Gleichgewichts. Zum Bevölkerungsschwund kamen die drastische Reduzierung der Stücke Vieh, die Verringerung des Prozentsatzes von Beschäftigten in der Landwirtschaft und in der Viehzucht, die ständig abnehmende Ausbeutung der Weiden und der Almeinrichtungen hinzu56.
Im Jahr 1976 wurde Friaul von einem katastrophalen Erdbeben heimgesucht, dessen Folgen im Gebiet von Zahre/Sauris relativ beschränkt waren. Paradoxerweise bedeutete dieses Ereignis für den friaulischen Boden den Beginn eines Aufstiegs sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Art. In der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre und zu Beginn der Achtzigerjahre zeigte die Bevölkerung von Zahre Anzeichen eines Erwachens durch die Bildung von Gruppen und Vereinigungen zur Aufwertung der lokalen Sprache und Kultur (der Chor »Zahre«, die kulturelle Vereinigung »Circolo Culturale Saurano Fulgenzio Schneider«) durch Initiativen für die Wiedergewinnung der bodenständigen Bauweise und der traditionellen Handwerksberufe (Holzverarbeitung, Weberei) und durch die Intensivierung bereits bestehender Aktivitäten (Verarbeitung von Schweinefleisch, Fremdenverkehr). Bezeichnend ist in diesem Sinne das Jahr 1980, in dem mit Tagungen und Veranstaltungen das siebenhundertjährige Bestehen des Ortsnamens »Sauris« gefeiert wurde. Die Gemeindeverwaltung leitete das »Sauris Projekt« der integrierten Entwicklung in die Wege, dessen Schwerpunkt ein Tourismus mit geringen Auswirkungen auf die Umwelt und mit innovativen Lösungen unter Berücksichtigung der Landschaft und Merkmale der Gemeinschaft war57.
Im Jahr 1983 nutzte die Gemeinde ein eigenes Regionalgesetz (L.R. 2/83) zum Schutz der traditionellen Aspekte der historischen Ortszentren von Plozn/Sauris di Sopra und Dörf/Sauris di Sotto. Die umfangreichen Finanzierungen gestatteten die Restaurierung eines großen Teiles der Häuser und den Neubau primärer urbanistischer Anlagen und verschiedener öffentlicher Einrichtungen.
In den letzten zwanzig Jahren scheinen die getroffenen Maßnahmen vorübergehend die Gefahr einer Auslöschung der Gemeinschaft gebannt zu haben. Neben dem Fremdenverkehr wurden kompatible Wirtschaftsaktivitäten gestärkt oder eingeleitet (Handwerk, Wohnbau, Lebensmittelprodukte), die das Verbleiben der Einwohner sichern58.
Am Horizont zeichnen sich neue Aufgaben ab, wie die Entwicklung von einem »stationären« zu einem »Durchzugstourismus« oder die Suche nach Lösungen für einen Wiederaufschwung des Wintertourismus, der sich wegen Schneemangels und wegen des Fehlens attraktiver Sporteinrichtungen in einer Krise befindet.
Seit geraumer Zeit sind die Landwirtschaft und die Viehzucht stark rückläufig, was auch unvermeidbare Folgen für die Umwelt mit sich bringt.
Die größte Aufgabe ist jedoch in Verbindung mit der Beibehaltung der Identität und der kulturellen und sprachlichen Eigenart der Gemeinschaft zu sehen.
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1N. Denison, Elementi di toponomastica su Sauris/Zahre, in D. Cozzi – D. Isabella (a cura di), Sauris/Zah- re. Una comunità delle Alpi Carniche, Udine, Forum Editrice Universitaria Udinese, 1999, pp. 187–199.
2 Ebd. S. 187. A pag. 192 Denison analizza la forma Zeer, che compare in un documento del 1500. Si tratterebbe del tentativo di ripristinare una supposta forma più antica del termine Zahre, forse con- dizionato anche dall’etimologia popolare, tuttora diffusa, che fa derivare il termine dalle Zähren(saur. zehre, lacrima) sparse nel corso della colonizzazione.
3 Ebd. Sia il nome Zahreche il nome Zarz, ted. dialett. [tsa:re], col quale è anche conosciuto il paese di Sorica, ex isola linguistica tedesca in Slovenia, all’incirca coeva di Sauris, potrebbero derivare dal- lo stesso idronimo pre-romanzo e pre-sloveno savira ‘il corso (d’acqua)’ (E. Kranzmayer – P. Lessiak, Wörterbuch der deutschen Sprachinselmundart von Zarz/Sorica und Deutsch-Rut/Rut in Jugoslawien, Kla- genfurt, Verlag des Geschichtsvereins für Kärnten, 1983, s.v. Zarz).
4 F. Schneider, Raccolta di antiche tradizioni ed avvenimenti fino ai giorni nostri di Sauris, Sauris, Circolo Culturale Saurano “F. Schneider”, 1992, pp. 8–13, 94–95. La versione raccontata dallo Schneider coin- cide sostanzialmente con le versioni tuttora circolanti.
5 L. Lucchini, Memorie del santuario di S. Osualdo in Sauris Arcidiocesi di Udine, Udine, Tipografia del Pa- tronato, 1880, p. 18; ID., Saggio di dialettologia sauriana, Udine, Tipografia del Patronato, 1882, pp. 13–14.
6 J. Bianchi, Thesaurus Ecclesiae Aquilejensis, Civitas Utini (Udine), typographia archiepiscopali Trom- betti-Murero, 1847, p. 35, n. 34; P. Paschini, NotiziestorichedellaCarniadaVenzonea Monte Croce e Cam- porosso, 3^ ed., Udine-Tolmezzo, Libreria Editrice “Aquileia”, 1971, p. 43, nota 3.
7 J Bianchi, Thesaurus…, cit., p. 338, n. 1154.
8 S. Dall’Oglio, 1318, agosto 17 Civitate Austria (Cividale). “Matiusso di Moimacco, abitante a Spilimbergo, riceve in feudo da Folchero di Savorgnan la villa di Sauris”, in “De Zahre reidet”, n° 60, 1991.
9 La forte presenza di una nobiltà tedesca è legata alla successione ininterrotta, fra l’XI e la metà del XIII secolo, di patriarchi di sangue germanico.
10 G. Della Stua, Vitadi S. Oswaldo re di Nortumberland e martire colla storia del suo culto, Udine, Antonio del Pedro, 1769, p. 81. L’abate Della Stua riportò in estratto la bolla, che vide in originale nell’archivio della chiesa di S. Osvaldo. Oggi l’originale non esiste più.
11 Archivio Parrocchiale di Sauris, Fondomembranaceo, pergamena n° 82.
12 Questo e i due successivi documenti del 1364 e del 1376 sono noti in estratto da Della Stua, Vita di S. Oswaldo…, cit., p. 81.
13 Archivio Parrocchiale di Sauris, Fondomembranaceo, pergamena n° 83.
14 Per la vita di S. Osvaldo e la storia della reliquia e del santuario di Sauris di Sotto si vedano L. Luc- chini, Memorie…, cit., e A. Tilatti, La parrocchia di Sauris: le chiese, gli uomini, i santi, in D. Cozzi – D. Isabella – E. Navarra (a cura di), Sauris/Zahre…, cit., pp. 63–90.
15 La bolla del 1361 fu trascritta nel 1515. Quest’ultimo documento è conservato nell’Archivio Parroc- chiale di Sauris, Fondomembranaceo, pergamena n° 85.
16 Una sintesi delle ipotesi sulla provenienza della reliquia e, in generale, sul problema delle origini della comunità si trova in G. Brunettin, Illazionisuun’origine, in D. Cozzi – D. Isabella – E. Navarra (a cura di), Sauris/Zahre…, cit., pp. 43–61.
17 L. Lucchini, Memorie…, cit., appendice, n° 2, p. 49.
18 G. Della Stua, Vita di S. Oswaldo…, cit., p. 60.
19 Giordano Brunettin fa giustamente notare che nell’epoca in cui Della Stua scrive (seconda metà del ‘700) era già stata portata a compimento la “venetizzazione” del territorio di cultura e lingua tede- sche dell’alta valle del Piave e soprattutto delle zone montane interessate dall’emigrazione di popo- lazioni tirolesi e carinziane. A tale scopo fu ampiamente favorito lo stanziamento di gruppi di fami- glie provenienti dai territori da lungo tempo soggetti alla Repubblica veneta nei distretti alpini dai quali la Serenissima traeva il legname per le esigenze del proprio Arsenale.
20 N. Grassi, Notiziestorichedellaprovinciadella Carnia, Udine, Fratelli Gallici, 1782, pp. 173–174.
21 Le varie ipotesi avanzate dai linguisti tedeschi sono riassunte in L. Lucchini, Saggio…, cit., pp. 7–11 e in Brunettin, Illazioni…, cit., pp. 50, 59–60, note 49–50.
21 L. Lucchini, Saggio…, cit., pp. 13–14: «Certamente il Sauriano s’avvicina moltissimo a’ dialetti di Möllthal e di Lesachthal. A me bastò sfogliare alquanto il KärntischesWörterbuchdel Lexer per vede- re come tante forme e tanti modi di dire che io credeva tutto propri del nostro dialetto si trovano al- tresì ne’ parlari delle valli principalmente del Mölle di Lesach. Io credo pertanto che appunto nel no- stro vernacolo paragonato co’ vari dialetti tedeschi, e specialmente con quelli della Carintia, si possano rinvenire quelle notizie che indarno domandiamo a’ perduti documenti; poiché le lingue, quantunque a poco a poco si trasformino, conservano però una fisionomia che il tempo, fosse pure di nove secoli quanti pressoché ne conta Sauris di esistenza, non può del tutto scancellare». Il Luc- chini non fornì, però, elementi a sostegno di questa datazione.
22 G. Marinelli, Guida della Carnia, Tolmezzo, G.B. Ciani, 1906, pp. 15–16, 384–385.
23 G.P. Nimis, I centri storici di Sauris. Ricerca di identità e ipotesi di sopravvivenza per una comunità emargi- nata della Carnia, Venezia, Marsilio, 1977, p. 24; M. Toller, Sauris. Storia civile e tradizioni, Udine, Arti Grafiche Friulane, 1963, p. 10. Questa interpretazione trova sostegno nell’analisi di Pier Paolo Viazzo sul processo di colonizzazione delle alte valli che interessò le Alpi, specie nel settore orientale, nel tardo Medioevo, colonizzazione promossa da membri dell’aristocrazia terriera e da monasteri per uno sfruttamento più intensivo dei loro possedimenti nelle terre marginali d’alta quota (P.P. Viazzo, Comunità alpine. Ambiente, popolazione, struttura sociale nelle Alpi dal XVI secolo ad oggi, 2^ ed. riveduta e ampliata, Museo degli Usi e Costumi della Gente Trentina, San Michele all’Adige/Carocci, Roma, 2001, pp. 148–149).
24 G. Lorenzoni, Latoponomastica di Sauris oasi tedesca in Friuli, estratto dal “Bollettino della Società Fi- lologica Friulana”, annata XIII^, nn. 3, 4, 6, Udine, Istituto delle Edizioni Accademiche, 1938, pp. 10–19; M. Hornung, IsolelinguistichetedeschederivatedainsediamentiaustriaciinCarniae in Carniola, in “Almanacco culturale della Carnia”, n° 6, 1991, pp. 33–47. Secondo la Hornung la fondazione di Sau- ris è da considerare “un ben calcolato trasferimento di gente, ordinato dai conti di Gorizia che ave- vano il potere anche da quelle parti” (p. 40). Norman Denison ha pubblicato numerosi articoli e sag- gi sulla lingua saurana; ai fini dell’argomento che si sta trattando, si cita qui Sauris: la questione delle origini, in Attidelconvegno“Timau,Sauris, Sappada, isole alloglotte da salvare”, Centro Studi di Timau, 30–31 luglio 1982 e Spunti teorici e pratici dalle ricerche sul plurilinguismo con particolare riferimento a Sauris, in Aspetti metodologici e teorici nello studio del plurilinguismo nei territori dell’Alpe-Adria, Atti del Convegno Internazionale, Udine, 12–14 ottobre 1989, pubblicati nel 1990 da Aviani Editore, pp. 169–177.
25 G. Brunettin, Illazioni…, cit., pp. 55–56.
26 Ebd. p. 61, nota 91.
27 S. Dall’Oglio, San Osvaldo: Riflessioni sulla presenza a Sauris della Reliquia; ipotesi sulla sua presenza a Sauris, anche in rapporto alle origini del Paese, in “De Zahre reidet”, n° 59, 1990.
28 G. Lorenzoni, LatoponomasticadiSauris…, cit., p. 6. Lorenzoni osservava che il cognome Bolf è docu- mentato solo dal 1762 al 1786 e quindi si tratterebbe di una famiglia immigrata in epoca recente. I Tolar proverrebbero dal Tirolo, essendo il nome del primo della famiglia (Sebastiano) accompagnato dall’attributo tiroliensis(1777). Quanto ai Miniger, si tratterebbe di una derivazione dal nome proprio latino Dominicus. Perciò le prime tre famiglie insediatesi a Sauris dovrebbero essere state quelle dei Plotzer, degli Schneider e dei Trojer, cognomi tuttora presenti a Sauris e riscontrabili anche nella Le- sachtal. Il nome Tolar sopravvive come hausnome(nome di casa), il nome Bolf (Wolf) come sopran- nome di famiglia. Riguardo a quest’ultimo, va aggiunto che esso compare in un documento del 1602 ed è quindi meno recente di quanto asserisse Lorenzoni.
29 Dörf= paese, villaggio; Plozn = radura (nel bosco). Secondo Denison il toponimo Dörfindicherebbe che fu Sauris di Sotto l’insediamento originario, quindi il “villaggio” per antonomasia (N. Denison, Elementiditoponomastica…, cit., p. 188.
30 D. Cozzi, ZamitmeAbrölePfluekhaufStöle… Coltivaree allevare a Sauris, in D. Cozzi – D. Isabella – E. Navarra (a cura di), Sauris/Zahre…, cit., pp. 157–184; D. Isabella, Il sistema alimentare saurano tra quo-tidianitàe festività, in D. Cozzi -D. Isabella (a cura di), Sauris/Zahre…, cit., pp. 55–90. Tra le colture tra- dizionali saurane vanno ricordati anche il lino e la canapa, che assieme alla lana consentivano alla comunità la completa autosufficienza per quanto riguarda la produzione dei tessuti.
31 G. Marinelli, Guida…, cit.; P. Paschini, Notiziestoriche della Carnia…, cit; F. Bianco, Carnia XVII–XIX. Organizzazione comunitaria e strutture economiche nel sistema alpino, Pordenone, Biblioteca dell’Imma- gine, 2000, p. 16; C. Puppini, Tolmezzo. Storia e cronache di una città murata e della Contrada di Cargna. Dalle origini al XVII secolo, Udine, CO.EL., 1996, p. 86.
32 P. Paschini, Notizie storiche della Carnia…, cit., pp. 91–92.
33 Il toponimo Lataisè stato variamente interpretato. L’ultima ipotesi, la più convincente, è quella che lo fa derivare da una parola di origine celtica, già attestata in latino, tegia(con articolo romanzo la- da il-laintegrato nel termine), con significato originario ‘capanna’, ‘casa’. Nel territorio alpino sia di lin- gua romanza che tedesca il termine ha assunto il significato di ‘fienile’, ‘stalla con fienile’, ‘caseifi- cio’, che ben si adattano ad una località abitata solo stagionalmente. Il lessema Latais sta anche alla base delle formule per indicare l’altra località, La Maina (ame Lataise, afn d’Latais) (N. Denison, Ele-mentiditoponomastica…, cit., pp. 192–195). La denominazione italiana di quest’ultima borgata deriva dalla costruzione, nel 1830, di una cappella (maina). Prima di quella data, la borgata prendeva nome dalla stua (sbarramento artificiale di tronchi, pietre, terra) posta lungo il torrente Lumiei ai fini della fluitazione del legname.
34 M. Plozzer (a cura di), StoriadellachiesadiS.LorenzoM. in Sauris di Sopra, supplemento a “De Zahre reidet”, agosto 1985, p. 61.
35 N. Denison, Elementi di toponomastica…, cit., pp. 192–193.
36 M. Plozzer (a cura di), Storia della chiesa di S. Lorenzo…, cit., pp. 63–64.
37 G. Marinelli, Guida della Carnia e del Canal del Ferro. Nuova edizione a cura di Michele Gortani, Tolmezzo, Stabilimento Tipografico “Carnia”, 1924–25, p. 222; M. Toller, Sauris…, cit., p. 15.
38 Per la storia della parrocchia di Sauris e del santuario di S. Osvaldo, si veda A. Tilatti, LaparrocchiadiSauris…, cit., pp. 63–90.
39 A. Fornasin, Lavitaeconomicaa Sauris tra Seicento e Settecento, in D. Cozzi – D. Isabella – E. Navarra (a cura di), Sauris/Zahre…, cit., pp. 97–98.
40 Ebd., p. 97.
41 C. Lorenzini, L’inchiesta del 1679 nella trascrizione di Giovanni Gortani, in G. Ferigo – A. Fornasin (a cu- ra di), Cramars. Emigrazione, mobilità, mestieri ambulanti dalla Carnia in Età Moderna, Udine, Arti Grafi- che Friulane, 1997, p. 471.
42 G.P. Gri, Berkn, tessere, in D. Cozzi – D. Isabella (a cura di), Sauris/Zahre…, cit., pp. 12–13. A differen- za di tanti paesi della Carnia settentrionale, nei quali la popolazione maschile era specializzata nel piccolo commercio ambulante di spezie, farmaci, merceria ed altro nei Paesi d’oltralpe, Sauris e i vil- laggi nella fascia inferiore della Carnia erano caratterizzati da mestieri collegati con l’universo tessi- le.
43 Questionario napoleonico del 1807, Archivio Comunale di Sauris.
44 E. Navarra, La comunità di Sauris tra Settecento e Ottocento, in D. Cozzi – D. Isabella – E. Navarra (a cura di), Sauris/Zahre…, cit., pp. 105–109.
45 D. Cozzi, Za mitme Abröle…, cit., pp. 161–162.
46 F. Schneider, Raccolta di antiche tradizioni…, cit., pp. 62–63.
47 Ebd. p. 66.
48 I dati sono tratti da F. Micelli, Sauris:identitàedemigrazione,in D. Cozzi – D. Isabella – E. Navarra (a cura di), Sauris/Zahre…, cit., pp. 279–291, che presenta un’analisi approfondita dei flussi migratori.
49 ende della prima guerra mondiale a Sauris: F. Schneider, Raccolta di antiche tradizioni…, cit., pp. 166–195; M. Toller, Sauris…, cit., pp. 23–24.
50 F. Schneider, Raccolta di antiche tradizioni…, cit., pp. 63–65; M. Toller, Sauris…, cit., p. 23.
51 M. Plozzer (a cura di), 1920–1970. 50 anni a servizio della Comunità Saurana, Sauris, Unione Cooperati- va di Consumo, 1983.
52 F. Schneider, Raccolta di antiche tradizioni…, cit., pp. 74–93; M. Toller, Sauris…, cit., pp. 24–28.
53 F. Micelli, Sauris:identità…, cit., pp. 285–286.
54 M. Toller, Sauris…, cit., pp. 30–32. A più riprese componenti della brigata partigiana “Garibaldi” tro- varono rifugio a Lateis. Nella brigata militavano molti uomini di Ampezzo. Questa località fu per al- cuni mesi, nel 1944, capitale della “Repubblica libera della Carnia”.
55 F. Micelli, Sauris:identità…, cit., pp. 287–288. Dopo il 1945 l’emigrazione verso l’estero riprese, sep- pure in tono minore. Di un certo rilievo sono le partenze (15) per la Svizzera nel periodo 1964–1976.
56 S. Zilli, Ildeclinodell’allevamentoinquotanellamontagnafriulana:ilcasoSauris, in D. Cozzi – D. Isabel- la – E. Navarra (a cura di), Sauris/Zahre…, cit., pp. 189–203. Il numero di esemplari bovini passò da 429 esemplari nel 1970, suddivisi tra 76 aziende agricole, a 151 capi nel 1982, ripartiti tra 27 aziende.
56 Esemplare, in questo senso, l’idea dell’albergodiffuso, consistente nel recupero di alcuni edifici dei centri storici per ricavarne camere ed appartamenti, gestiti in forma unitaria e forniti, tramite appo- site convenzioni, di servizi di ristorazione, portineria, commerciali ecc. Lo scopo era quello di forni- re al turista strutture ricettive qualificate e completamente autonome, ma “calate” nell’ambiente lo- cale.
57 Un discorso a parte andrebbe fatto per la qualità della vita. Nonostante i notevoli miglioramenti compiuti nel settore della viabilità, permangono le difficoltà nel fruire di alcuni servizi (strutture sa- nitarie, scuole secondarie, offerte culturali e di svago) posti nei centri di Tolmezzo e Udine e si pro- spetta, per quelli in loco, il rischio della chiusura o di un notevole ridimensionamento (scuola materna ed elementare, ambulatorio medico, ufficio postale).
Die vor allem im Laufe des 20. Jh. erfolgten Umwandlungen zeigten starke Auswirkungen auf die verschiedenen Aspekte der materiellen und symbolischen Kultur der Gemeinschaft von Zahre/Sauris. Die hier gebotene Beschreibung alter Bräuche bezieht sich auf eine Zeit, die etwa der ersten Hälfte des 20. Jh. entspricht. Einige der Traditionen sind bereits verloren gegangen, andere haben überlebt oder wurden wieder aufgegriffen, was oft unter Anpassung an die veränderten Gegebenheiten der heutigen Zeit erfolgte.
Die Ereignisse und die wichtigsten Etappen im Leben der Einzelnen und Familien wurden von der Bevölkerung von Zahre/Sauris in einfacher, nüchterner Weise erlebt, wie es dem Gemüt dieser Menschen entsprach, die sich auf einen starken Glauben stützten. Die tief religiöse Gesinnung zeigte sich bei den liturgischen Festlichkeiten, doch auch bei der Ausübung des Glaubens im Alltag und in den Familien (die Gebete, der abendliche Rosenkranz, das Kreuzzeichen beim Angelus Läuten), sowie bei einer Reihe kleinerer Rituale, um Glück zu erbitten und Unheil fern zu halten, was heute leicht als Aberglaube bezeichnet wird, doch einst Quelle der Stärke und des Haltes angesichts der Unsicherheiten und Schwierigkeiten des Alltags waren1.
Auch die besondere Aufmerksamkeit für Frau und Kind zählt dazu, das Kind soll in der Zeit der Schwangerschaft und des Stillens vor negativen Einflüssen und Gefahren geschützt werden (zum Beispiel legte man Pölsterchen mit geweihten Gegenständen in die Wiege oder in die Windeln: einen Olivenzweig, Weihrauch, Wachs, Wasser). Die Taufe erfolgte wenige Tage nach der Geburt; die Kinder der Weiler wurden mit dem Rückentragkorb bis zur Hauptkirche gebracht. Die Eltern des Kindes, das nach dem Dreikönigsfest oder nach Ostern als erstes zur Welt kam (bei diesen Anlässen wurde das Wasser im Taufbecken erneuert) boten dem Geistlichen ein Lamm dar. Vierzig Tage nach der Geburt musste sich die Wöchnerin zur Reinigung in die Kirche begeben; zuvor war es ihr untersagt, sich über die Grenze des von der Traufe rinnenden Regenwassers hinaus vom Haus zu entfernen.
In der frühen Kindheit wurden die Knaben und Mädchen im Wesentlichen gleich behandelt, bis auf die Ernährung: Dem Brei der männlichen Kleinkinder wurde ein Stückchen Butter beigemengt, um die Lenden zu stärken und einem Leistenbruch vorzubeugen. Auch die Kleidung war für Knaben und Mädchen gleich, und beide beteiligten sich an den Bettelgesängen der Kinder in der Weihnachtszeit.
Zahre: "Schöne Masken" (scheana schembin) beim Zahrer Fasching
Im Schulalter und in der Jugend wurde die Unterscheidung nach Geschlechtern stärker betont. Nur die Knaben durften in der Karwoche »ratschen« gehen oder die Sternsinger begleiten. Im Alter von 13–14 Jahren mussten die Heranwachsenden zur Aufnahme in den Kreis der Jugendlichen »die Taufe bezahlen« (zoln de tafe) und ein kleines Fest veranstalten. Die Entwicklungsjahre wurden mit der Rekrutierungsfeier abgeschlossen. Nach der Musterung zogen die Burschen des entsprechenden Jahrgangs mit den Mädchen gleichen Alters im Festkleid, mit Hüten voller Papierblumen und bunter Bänder, in Begleitung von Musikanten durch den Ort und die Gasthäuser.
Diese und andere Feste waren wichtige Anlässe für geselliges Beisammensein, in dessen Verlauf die Burschen den Mädchen den Hof machten und sich neue Paare bildeten2. Die Ehe wurde, angefangen von der Kleidung, auf bescheidene Art geschlossen. Die Braut trug die Tracht von Zahre oder ein Kostüm in den Farben Braun, Grün, Grau oder Schwarz. Oft waren Gewand und Zubehör geliehen, um die Kosten gering zu halten. Am Vorabend fanden sich die Freundinnen der Braut unter ihrem Fenster ein, um ein Glück verheißendes Ständchen zu singen. Wenn die Brautleute aus verschiedenen Ortsteilen waren, fand nach der Trauung das Ritual des Tischleins (tischle) statt: Die Burschen des Ortsteiles, dem mit dieser Hochzeit ein Mädchen »verloren ging«, stellten dem Bräutigam einen kleinen Tisch mit Spirituosen und anderen Getränken auf, die der Bräutigam zahlen musste. Ebenso widerfuhr es einem jungen Fremden, der ein Mädchen des Ortes heiratete. Das Ritual des Tischleins geht heute für gewöhnlich mit dem Stammschneiden einher oder wird durch dieses ersetzt. Die Familie der Brautleute bot dann den Verwandten und Freunden ein Mahl mit Weißbrot, Fleisch, Süßwaren und Gerichten, die im Alltag selten auf den Tisch kamen. Der Tag wurde mit Gesang und Tanz abgeschlossen.
Das letzte Ereignis im Leben, bei dem die gesamte Gemeinschaft einbezogen wurde, war der Tod. Am Abend fand im Haus des Verstorbenen die Totenwache statt, an der sich neben den Verwandten ein oder zwei Mitglieder jeder Familie des Ortes beteiligten. Es wurde mehrmals, auch die ganze Nacht hindurch, der vollständige Rosenkranz gebetet, um die Seele bei ihrem Übergang zu begleiten.
Am Tag der Beerdigung wurde der Sarg auf der Schulter vom Haus zur Kirche und von dort zum Friedhof getragen3. Träger waren sechs Personen, je nach dem Geschlecht des Verstorbenen Männer oder Frauen. Diese Aufgabe kam für gewöhnlich den Patenkindern zu, wenn der Verstorbene mittleren Alters oder alt war, den Altersgenossen, wenn er jung war. Kindersärge wurden bis zum Friedhof offen gelassen; der Taufpate trug den Deckel, die Taufpatin den Sarg, in dem neben der kleinen Leiche Blumen angeordnet waren. Die Grabkränze wurden von Hand gebunden: Die Knaben sammelten Tannenzweige und setzten sie in Ringform zusammen, die Mädchen schmückten sie mit bunten Blumen aus Seidenpapier. Auf dem Friedhof zogen am Ende der Beerdigung alle Anwesenden am Grab vorbei, um den Sarg mit Weihwasser zu besprengen.
In der Zeit zwischen Weihnachen und Dreikönig finden immer noch die Bettelumzüge von Kindern und Erwachsenen statt. Die ersteren machen bei zwei Anlässen den Rundgang durch das Dorf, wobei sie Kehrreime singen (Pistelea am Tag der unschuldigen Kinder, ‘s naje johr am ersten Tag des Jahres) und von jeder Familie Essensgaben erhalten.
Der Tag und die Abwicklung des Sternsingens sind von Weiler zu Weiler verschieden. Bei Einbruch der Dämmerung zieht eine Gruppe Jugendlicher und Erwachsener mit einem bunten, beleuchteten Stern, der an einem Stock befestigt ist, durch die Ortsteile. Bis zu Beginn des 20. Jh. war das Ritual den männlichen Sängern vorbehalten, von denen drei als Heilige Drei Könige verkleidet wurden, während sich heute sowohl Männer als auch Frauen beteiligen4. Sie singen alte Weihnachtslieder (die Stearnliedlan) auf Altdeutsch, Italienisch und Lateinisch.
Der Fasching (der voschankh) begann offiziell, sobald der Geistliche mit dem Segnen der Häuser fertig war5. Für gewöhnlich zog man sich am Donnerstag, Samstag und Sonntag Faschingskostüme an. Die typischen Karnevalsfeiern von Zahre haben viel mit jenen an derer Zonen des Alpenraumes gemeinsam. Charakteristisch ist zum Beispiel die Unterscheidung in schöne Perchten (de schean schembln) und hässliche Perchten (de scheintan schembln). Die ersteren trugen Festkleider und zeigten in ihren Bewegungen Grazie und Harmonie. Die anderen trugen schäbige, geflickte Kleider und benahmen sich grob und plump. Die Perchten traten immer paarweise auf. Wer als Mann gekleidet war, trug eine Holzmaske oder hatte das Gesicht mit Ruß unkenntlich gemacht (vor allem die hässlichen Perchten); die Frauengestalten trugen über dem Gesicht einen Schleier oder ein Stück weißen Stoffes, der auf dem Kopf mit einer kapelina, einem mit Papierblumen, Perlen und langen Bändern verzierten Kartonzylinder befestigt war.
Erst gegen Mitte des 20. Jh. kamen zu den hässlichen und schönen Perchten die riké hin zu, die an Masken slawisch alpiner Art erinnern. Sie trugen Hosen oder Röcklein von weißer oder heller Farbe und weiße Hemden mit applizierten Papierblumen. Höchst bunt war auch die Kopfbedeckung, ähnlich der kapelina der schönen Perchten, doch noch auffallender mit Blumen und Bändern geschmückt. Die riké zogen mit Musikinstrumenten oder lärmenden Gegenständen umher und sangen Kehrreime.
Die alten hölzernen Masken von Zahre/Sauris, die heute im Museo delle Arti e Tradi zioni Popolari di Tolmezzo (Museum für Volkskunst und Volkskunde in Tolmezzo) verwahrt sind, heben sich von den Masken anderer Ortschaften Friauls durch einen weniger auffallenden, ernsteren Ausdruck, durch regelmäßige Züge und zarte Farben ab, auch wenn es nicht an grotesken Masken mangelt.
Das Ritual der Kostümierung war einfach und wiederholte sich unverändert. Gegen Abend zog dreimal der rölar durch die Straßen der Ortschaften und machte darauf aufmerksam, dass es Zeit zum Ankleiden war: »Haint geaman schembl!« (Heute Abend treiben wir uns als Perchten um!). Der rölar, der in Fetzen gekleidet war und das Gesicht mit einer Maske oder einer dicken Schichte rues (Ruß) bedeckt hatte, trug einen Gürtel um die Taille, an der die röln, bronzene Bällchen hingen, in denen eine Kugel eingeschlossen war, die bei Bewegung einen dumpfen Klang erzeugte. Damit sollten die Masken verständigt, doch auch die Kinder erschreckt werden, die von der abendlichen Kostümierung und vom anschließenden nächtlichen Ball ausgeschlossen waren.
Die Masken versammelten sich an einem vereinbarten Platz und begannen in Begleitung von einem oder zwei Spielern und vom kheirar von Haus zu Haus zu ziehen. Je nach den Ortschaften und den Perioden fiel der kheirar bisweilen mit dem rölar zusammen oder konnten zwei verschiedene Männer oder Burschen die Rollen übernehmen. Die Ausdrücke kheirar und rölar geben nicht so sehr eine Art Maske, als vielmehr eine Aufgabe an. Der kheirar trug dunkle Kleidung, grobe hölzerne Stallschuhe, eine Maske mit strengem Ausdruck und vor allem einen großen Reisigbesen, von dem der Name herrührte. Kheirn, d.h. Kehren, war die Hauptaufgabe dieser Gestalt. Wenn die Masken vor einem Haus angelangt waren, schlug der kheirar mit dem Besenstiel gegen den Eingang, trat in die Küche, kehrte den Boden mit weit ausholenden Kreisbewegungen, ließ die Spieler und dann das erste Maskenpaar eintreten, das einige Runden tanzte und sich wieder entfernte. Der kheirar fegte erneut den Boden und ließ das zweite Paar eintreten und so weiter, zuerst die schönen, dann die hässlichen Masken, bis zum letzten Paar. Nun begab sich die Gruppe zum nächsten Haus und wiederholte das Ritual. Am Ende versammelte sich die Gruppe in einem Raum, der groß genug war, um alle Paare aufzunehmen. Hier fand der eigentliche Tanz statt, der mehrere Stunden lang dauerte.
Die vom rölar und vom kheirar ausgeführten Bewegungen haben eine klare symbolische Bedeutung: Der Klang der Schellen soll die negativen Kräfte und die bösen Geister entfernen. Auch das Besen Ritual ist mit der Notwendigkeit verbunden, das Alte, Hässliche wegzukehren, um dem Neuen, Schönen, der Wiederkehr des Frühlings und dem neuen Leben Platz zu machen.
Trotz ständiger Wiederholung der gleichen Handlungen war dennoch immer Raum für neue Einfälle und Maskierungen. In alter Zeit legten alle am drittletzten Sonntag gute Kleidung an, da es der Sonntag der Herrschaften, der Wohlhabenden (hearnsuntach) war. Am vorletzten Sonntag, dem der Bauern (pauarsuntach), machten die Masken mit den entsprechenden Geräten die Feldarbeiten nach. Am letzten Sonntag, dem der Bettler (pet larsuntach), zogen drei Jugendliche durch den Ort und sammelten Lebensmittel (Mehl, Eier, Schmalz, Butter, Topfen), mit denen am Abend ein Klößchen Mahl für die Masken zubereitet wurde. Am Faschingsdonnerstag (vastignpfinzntokh) wurden in den Gaststätten oder in Häusern Parodien auf die verschiedenen Berufe vorgetragen (Scherenschleifer, Zahnarzt, Wanderhändler) und Personen des Ortes karikiert.
Ab den Sechzigerjahren des 20. Jh. passten sich die Faschingfeiern immer mehr der von auswärts gebrachten Mode an, bis sie schließlich völlig ihre besonderen Merkmale verloren. Im Jahr 1992 ging der Fremdenverkehrsverein an die Wiedereinführung des traditionellen Faschings, wobei er von der Volksschule unterstützt wurde, die zu diesem Thema Recherchen anstellte. Zwei lokale Handwerker schufen verschiedene Holzmasken: Sie bildeten Originalmodelle nach, die in Tolmezzo verwahrt werden, oder inspirierten sich an ihnen. So wird heute der Fasching von Zahre/Sauris mit einigen Änderungen, die den gewandelten Erfordernissen der Bevölkerung und der Entwicklung des Fremdenverkehrs entsprechen, doch im Wesentlichen getreu den traditionellen Ritualen wie der dargeboten. Allerdings sind der spontane Charakter und die sorglose Heiterkeit verloren gegangen, von denen die Älteren unter der Bevölkerung berichten.
In der Karwoche ziehen die Kinder mit ihren lärmenden Ratschen, deren Rattern den Glockenklang ersetzt, durch die Straßen, während in den Kirchen in gedämpftem Ton an das Leiden und den Tod Christi erinnert wird. Unter den Feiern des Triduums ist die Prozession, die am Karfreitag in Plozn/Sauris di Sopra stattfindet, besonders eindrucksvoll: Ein großes Kreuz mit den Symbolen der Passion wird unter dem Lärm der Ratschen und beim Schein der am Straßenrand entzündeten Feuer und Lichter durch den Ort getragen.
Jeder Ortsteil hat seine eigenen religiösen Festtage. Am tiefsten empfunden werden die der Schutzpatrone (Hl. Oswald in Dörf/Sauris di Sotto, Hl. Laurentius in Plozn/Sauris di Sopra, Hl. Dreifaltigkeit in Lateis, Hl. Joseph in La Maina) und die Marienfeste. Es findet eine Prozession mit der Statue des gefeierten Heiligen und gegebenenfalls der Reliquie statt. Bei diesen und anderen Feierlichkeiten erfolgen in der Kirche einige Segensrituale: des Wassers, des Salzes und des Obstes am Dreikönigstag, des Brotes zu Ostern, des Blumenstraußes und der Heilkräuter (baipusch) bei Mariä Geburt. Im Allgemeinen werden die religiösen Feste weniger feierlich und mit weniger Anteilnahme als früher begangen, doch gelten sie nach wie vor als fester Bezugspunkt für die Identität der Gemeinschaft. In den letzten Jahren wurden einige Gebräuche, wie etwa das Mahl der Senner im Pfarrhaus am Tag des Hl. Oswald (5. August) wieder eingeführt; an diesem Festtag begaben sich die Almhüter nach Dörf/Sauris di Sotto, um dem Geistlichen Gaben in Form von Käse (quartese) zu bringen und wurden zum Mittagessen eingeladen.
Eng mit dem Identitätsbewusstsein der Gemeinschaft ist auch die traditionelle Pilgerfahrt zur österreichischen Wallfahrtsstätte Maria Luggau im Lesachtal verbunden. Die Pilger von Zahre/Sauris begaben sich in kleinen Gruppen dorthin, wozu sie eine Wanderung von vier Tagen auf sich nahmen und sowohl bei der Hin als auch der Rückreise in Sappada Halt machten. Der Ursprung dieses Brauches ist nicht bekannt. Vielleicht leitet er sich von einem Gelübde ab, das die Gemeinschaft getan hatte, oder hing mit der Art von Wundern zusammen, deretwegen dieses Heiligtum bekannt war. Bis heute wird von der Pilgerreise einer Familie von Plozn/Sauris di Sopra berichtet, die ein totes Kind in einem Rückentragkorb zum Wallfahrtsort brachte, wo es auf wundersame Weise »von den Toten erwachte«, so dass es gerade rechtzeitig getauft werden konnte.6 Der mit dem Ersten Weltkrieg abhanden gekommene Brauch wurde in jüngeren Jahren wieder aufgefrischt. Wie früher bringt diese Pilgerreise die Bevölkerung von Zahre/Sauris in ihr Ursprungsland und ist gleichzeitig Gelegenheit für ein Zusammentreffen mit der deutschsprachigen Gemeinschaft von Sappada.
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1 Sul rapporto tra religione e magia, sulle pratiche protettive e difensive, sull’uso di amuleti e sull’im- maginario popolare saurano si veda D. Isabella, La parola e la scrittura: orizzonti simbolici, in D. Cozzi – D. Isabella (a cura di), Sauris/Zahre…, cit., pp. 93–120. Le tradizioni religiose sono raccolte in L. Protto – D. Isabella, Pete vur ins/Prega per noi.La devozione popolare a Sauris, Quaderno 2, Zahre-Sauris, Centro Etnografico, 2001.
2 Lo studio di Elisabetta Navarra sulla demografia della comunità di Sauris tra XVIII e XIX secolo ha evidenziato, fino al 1858, una percentuale di matrimoni endogamici sempre superiore al 90% (E. Na- varra, La comunità di Sauris…, cit., p. 115).
3 Gli abitanti di Lateis e La Maina, non avendo un proprio cimitero, portavano i defunti a Sauris di Sotto per il funerale e la sepoltura. La bara veniva trasportata con un carro (sostituito, quando c’era neve, da una slitta), preceduto da un bambino che portava appesa al collo con un nastrino nero una piccola croce e reggeva un lumino ad olio, e seguito da parenti e amici.
4 M. Toller, Sauris…, cit., pp. 37–38.
5 Le notizie sul Carnevale a Sauris sono state tratte da N. Petris, Il carnevale saurano, in D. Cozzi – D. Isabella (a cura di), Sauris/Zahre…, cit., pp. 121–128; Ferrante Schneider, Der zahrar voschankh, in “De Zahre reidet”, n° 64, 1992.
Der Dialekt von Zahre/Sauris ist der südbairischen Gruppe des Altdeutschen zuzuordnen. Er weist demnach starke Ähnlichkeiten mit dem Tiroler und dem Kärntner Dialekt auf, die demselben Stamm angehören.
Wie bereits erwähnt, machte sich ab dem 19. Jh. erhebliches Interesse für den Dialekt von Zahre/Sauris bei italienischen und ausländischen Sprachforschern bemerkbar, deren Studien es gestatteten, aufgrund eines Vergleichs mit den Dialekten der nahe gelegenen österreichischen Täler und der Analyse der phonetischen und morphologischen Erscheinungen das Herkunftsgebiet der ersten Siedler und die Zeit der Besiedlung zu bestimmen1. Der Dialekt von Zahre ist zur Erhärtung und Ergänzung der historischen Quellen von Bedeutung, da er den Sprachwissenschaftlern auch die Möglichkeit bietet, die Ent wicklung der deutschen Sprache zu rekonstruieren und zahlreiche linguistische Fragen eingehend zu erörtern2.
Eines der Merkmale des Dialekts von Sauris ist gewiss der Reichtum an Diphthongen durch die Diphthongierung der langen Vokale des Hochdeutschen, wie sie den deutschen Sprachinseln des Triveneto gemeinsam ist. Wie Lorenzoni feststellte, zeigt sich im Dialekt von Zahre/Sauris die Diphthongierung des mittelhochdeutschen ê > éa und des mhd. ô >óa, eine Erscheinung, die auf die Mitte des 9. Jh. rückführbar ist, und die Entwicklung î >ái und û > áu, die zwischen dem 11. und 12. Jh. stattfand (13. Jh. für die Gebiete diesseits des Brenners)3. So haben wir zum Beispiel: mhd. ÊWIC > éabik (ewig), MÊR > méar (mehr); mhd. NÔT > nóat (Not), HÔCH > hóach (hoch), RÔT > róat (rot); mhd. LÎTE > láite (Leite), SÎTE > sáite (Seite); mhd. HÛZ > háus (Haus), KLÛBEN > khláubm (klauben). Deutlich zeigt sich auch die Entwicklung des mhd. a zu o, wie etwa beim mhd. ALT > olt (alt), HAR > hor (Lein), WANT > bont (Wand).
Die Entwicklung von e und ë des Mhd. zu ei als lange oder gezogene Silbe, eine relativ weit zurückliegende Erscheinung, hat zum mhd. EBEN > éibm (eben), ECKE > éikhe (Ecke), BRËT > préit (Brett) geführt. Außerdem enthält der Dialekt von Zahre/Sauris die Diphthonge úe (abgeleitet vom mhd. uo), ai (vom mhd. iu) und óu (aus der Verlängerung des Vokals o): mhd. GUOT > gúet (gut), BLUOME > plúeme (Blume), KRIUZE > khráits (Kruzifix), NUWE > náie (neu), BIUNTE > páinte (umzäuntes Grundstück), TOR > tour (Tor), GLOCKE > kloukhe (Glocke), LOCH > louch (Loch).
Nicht vorhanden sind hingegen Spuren des Übergangs vom Umlaut e zu a, der im bayrischen Gebiet um die letzten zwanzig Jahre des 13. Jh. erfolgte. Da sich im Dialekt von Sauris das Umlaut e erhalten hat, ist es laut Lorenzoni offenkundig, dass die deutschen Siedler ihr Ursprungsland vor Ende des 13. Jh. verließen.
Charakteristisch ist die Trübung der Vokale i vor r und o vor r und l: khurche für Kirche, hurte für Hirte, burt für Wirt, ört für Ort, bört für Wort, dörf für Dorf, böl für Wohl, bölke für Wolke, hölz für Holz.
Hinzuweisen ist noch auf die bairische Monophthongierung von au zu ou, wie beim mhd. LOUFEN (über laufen) > la¯fn, doch auch beim rom. Sauras o Saures > Za¯re, was beweist, dass zur Zeit der Besiedlung die Erscheinung noch nicht abgeschlossen war.
Zahre: Kirchweihfest von S. Osvaldo, 2000
Die konsonantische Ersetzung s > z(ts) am Wortanfang ist auch in anderen romanischen Lehnwörtern zu erkennen, wie z.B. dem rom. secchia (vom Lat. situla) > zigl.
Was die Konsonanten anbelangt, ist als weitere bedeutende Erscheinung die Entwicklung des bilabialen b zu w (ital. v) zu nennen, die im bayrischen Alpenraum seit dem 13. Jh. belegt ist. Im Dialekt von Sauris hat diese Entwicklung bei der Phase b Halt gemacht: mhd. WINKEL > binkhl (Winkel), WALT > bolt (Wald), WAZZER > bosser (Wasser), WANT > bont (Wand).
Das p des Mhd. hat sich am Wortanfang erhalten: pame für Baum, prueder für Bruder, peisar für besser.
Erhalten ist auch noch das v des mhd.: vues für Fuß, vride für Friede, vrogn für fragen.
Ebenso interessant und reich an Anregungen und Überlegungen ist die Untersuchung des Wortschatzes. Dank des Vorliegens bestimmter Wörter und Ausdrücke, die in der zweiten Hälfte des 13. Jh. in das Süddeutsche eingegangen sind (pis »bis«, begn »wegen«, zome »zusammen«), können wir die Gründung der Gemeinschaft auf die Zeit zwischen 1250 und 1280 datieren4. Auch die Form voschankh, Fasching, ist ein wichtiger Hinweis für die Datierung der Ansiedlung. Sie geht dem Ausdruck »Fasenacht« voraus, der zum Beispiel in Sappada in der Form vosenocht vorliegt5.
Schwer auszulegen ist hingegen das Vorhandensein von Wörtern wie agngleiser (Augengläser), ure (Uhr), stunde (Stunde), piksn (Büchse), khugl (Kugel). Diese Ausdrücke waren in der ersten Hälfte des 13. Jh. unbekannt, da sie sich auf Dinge bezogen, die nicht vor dem 14. Jh. erfunden werden sollten. Es ist deshalb möglich, dass sie nach Ankunft der ersten Siedler eingeführt wurden oder dass die Besiedlung, die gleich nach 1250 begann, bis 1300 und noch länger anhielt6.
Sicher ist, wie Denison anführt, dass »ab ca. 1350 die Benennungen materieller Neuheiten für gewöhnlich nicht mehr aus dem Ursprungsland stammen, sondern, mit wenigen Ausnahmen, aus dem neulateinischen Sprachraum«7.
Diese Überlegung führt uns zur Entwicklung des Dialekts von Zahre/Sauris. Die Notwendigkeit, soziale und wirtschaftliche Beziehungen zu den benachbarten Gemeinschaften und zu den überterritorialen Institutionen zu unterhalten, veranlasste die Bevölkerung von Zahre von Beginn an zum Erlernen anderer Sprachen, wodurch sich eine Situation der Mehrsprachigkeit ergab. Obwohl es bis zum 19. Jh. vorkam, dass manche nur den Dialekt von Zahre sprachen (vor allem Frauen), konnten und gebrauchten andere häufig drei Sprachen: Zahrerisch für die Kommunikation in der Familie und im Ort, Friaulisch (vor allem in der karnischen Variante) für die Kontakte zu den benachbarten Orten und jenen des Tieflandes, Italienisch für den Amtsverkehr und die schriftlichen Mitteilungen im Allgemeinen.
Die Entfernung vom Mutterland und die teilweise Isolierung machten es sehr schwer, aus dem Sprachschatz der drei Heimatgebiete zu schöpfen (wo sich in der Zwischenzeit das Deutsche selbständig entwickelte), um über Neologismen zur Bezeichnung neuer Gegenstände, Arbeitstechniken, Begriffe zu verfügen. So wurden Ausdrücke von den benachbarten Gemeinschaften entlehnt. Diese Durchlässigkeit beschränkte sich nicht nur auf den Wortschatz, sondern auf alle Ebenen der Sprachstruktur (Morphologie und Syntax). Bis zum Ende des 19. Jh. muss jedenfalls die Kluft zwischen dem Dialekt von Zahre und der jenseits der Alpen verbreiteten deutschen Sprache beschränkt gewesen sein, was auch dem Vorliegen von Religionsbüchern in deutscher Sprache und dem Bestehen einer »Deutschschule« (vielleicht ein Abendkurs) zu verdanken war. Dem Sprachforscher Josef Bergmann, der 1849 meinte, die Bevölkerung von Zahre spreche einen stark korrumpierten Dialekt, der mit italienischen Wörtern und unverständlichen Ausdrücken vermischt war, und der diesem Dialekt ein rasches völliges Verschwinden prophezeite, antwortete 1882 Pater Luigi Lucchini folgendes: »Es ist nicht zu leugnen, dass unser Dialekt, der von allen Seiten, vom Karn und vom Cadore beeinflusst wird, abgeschwächt und verderbt worden ist, da er zum Schaden seiner Reinheit viele Ausdrücke übernahm, die ihm nach und nach aufgedrängt wurden; was jedoch den Bestand anbelangt, steht er sicher nicht vor dem Erlöschen, wie Bergmann anführt. Wir wissen im Gegenteil, dass der Dialekt in manchen Häusern, die dem Handel mit Fremden ferner stehen, von jenen Frauen, vor allem alter Prägung, die höchstens zwei oder dreimal das Becken von Zahre verlassen haben, in relativ bewundernswerter Reinheit gesprochen wird; und so glauben wir, dass er im Familienkreis von den Enkeln noch in zwei, drei Jahrhunderten gesprochen werden wird«8.
In soziologischer Hinsicht ließen jedenfalls die Situation der Volks und Sprachinsel und das Bewusstsein des Andersseins ein Minderwertigkeitsgefühl unter der Bevölkerung aufkommen, das im Laufes des 20. Jh. zunahm, als die Verbesserung der Wegbarkeit die Kontakte zur Außenwelt erleichterte und intensivierte. Die benachteiligte Stellung und die Scham wurden durch die Haltung der Einwohner der angrenzenden Ortschaften noch verstärkt, die oft über die Bewohner von Zahre/Sauris spotteten und sie als crautins (Krautesser und – wegen des Gleichklangs mit cretini – Dummköpfe) bezeichneten. Im Sprachsystem von Zahre wurde demnach der deutsche Dialekt zu einem weniger an gesehenen Kode, der sich nur für die eng mit dem Ortsgeschehen verbundenen Beziehungen eignete und nicht mehr als Sprache galt9.
Zu dieser inneren »Abschwächung« kamen noch das Drängen und der Druck seitens der Institutionen, vor allem der Schule. Während bis zu den Fünfzigerjahren der Großteil der Kinder im Vorschulalter den Dialekt von Zahre gebrauchte und Italienisch bloß in der Schule sprach, verlangte man ab den Sechzigerjahren von den Eltern, ihre Kinder nicht mehr den Dialekt von Zahre zu lehren, um das Erlernen der offiziellen Sprache nicht zu beeinträchtigen.
In den letzten Jahrzehnten trugen der vermehrte Schulbesuch, die starke Verbreitung der Informationsmittel, die Intensivierung der Beziehungen zu Personen außerhalb der Gemeinschaft, der erhöhte Prozentsatz auswärtiger Ehen zur drastischen Reduzierung der Kenntnisse und der Verwendung des lokalen Idioms bei.
Es liegen keine offiziellen Schätzungen über die derzeitige Verbreitung des Dialekts von Sauris vor. Nach einer kürzlich verfassten Doktorarbeit beträgt der Anteil jener, die ihn sprechen, 70%10. Dreizehn Prozent der Einwohner verfügt über passive Sprachkenntnisse, 17% über keinerlei Kenntnisse77. Der Prozentsatz der Sprachkundigen ist bei den älteren Altersklassen (fast 100% bei den vor 1929 Geborenen) höher. Mit abnehmendem Alter erhöhen sich im Allgemeinen die passiven Kenntnisse gegenüber den aktiven. Bei der jüngeren Generation zeigt sich überdies ein verstärktes Zurückgreifen auf Entlehnungen und eine deutliche Tendenz, den Dialekt unter Anwendung der italienischen Syntax zu sprechen.
Die Sprache von Zahre wird im Familienkreis, in öffentlichen Lokalen, in Geschäften, am Arbeitsplatz gebraucht. Die Verwendung scheint nicht so sehr vom Ort, von der Situation oder vom Prestige abzuhängen, als vielmehr von der Fähigkeit der Gesprächspartner, die lokale Sprache zu verstehen und zu sprechen. In der Öffentlichkeit kommt es oft vor, dass die Anwesenheit von Personen mit passiven Kenntnissen oder ohne Kenntnisse zum Gebrauch eines allen verständlichen Sprachkodes veranlasst. Zu Hause überwiegt die Gewohnheit: Zum Beispiel sprechen die Großeltern untereinander und mit ihren Kindern im Dialekt von Zahre, während sie sich mit den Enkeln auf Italienisch unterhalten.
Eine starke Verbreitung des Dialekts von Zahre ist noch bei den Ortsnamen zu erkennen. Leider sind viele bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jh. belegten Namen verloren gegangen, vor allem jene in Verbindung mit verschwundenen Berufen oder mit wenig besuchten Orten. Die bekannteren werden jedoch immer noch allgemein gebraucht, auch wenn manche sie benutzen, ohne ihre Bedeutung zu kennen. Die Ortstafeln weisen unter dem italienischen Namen der Ortschaft in kleinerer Schrift auch den Namen im Dialekt von Zahre auf. Dann sind die hausnomen zu nennen, die einen einzelnen Wohnsitz oder Gruppen von Wohnsitzen bezeichnen und sich von der Lage des Gebäudes (z.B. Poud nar, Gruebar), vom Handwerk oder vom Namen eines früheren Bewohners (Maurar, Schuestar, Sefn) ableiten. Diese Namen gingen für gewöhnlich mit dem Eigennamen einher, wurden anstelle des Zunamens gebraucht und gestatteten die sofortige, eindeutige Bestimmung der Personen, vor allem im Fall von Namensgleichheit. Die hausnomen werden in dieser Funktion nur noch von den Älteren verwendet; mehrere Familien haben jedoch in den letzten Jahren neben dem Hauseingang eine Holztafel mit dem eingeritzten Namen des Hauses angebracht. Die Gemeindeverwaltung erarbeitet derzeit ein detailliertes Projekt der Wiedergewinnung und Aufwertung dieser »Mikro Ortsnamen« innerhalb der Ortschaften.
Der Dialekt von Zahre/Sauris überlebt einigermaßen auch noch im Kirchenbereich. Der Gebrauch der lokalen Sprache, doch auch von Standarddeutsch in der Liturgie, im Religionsunterricht, bei religiösen Bräuchen in der Familie ist für die Vergangenheit reichlich belegt. Erwähnenswert sind für die früheren Jahrhunderte die Ansuchen der Pfarrgemeinde um Priester, die der lokalen Sprache mächtig waren, und die Anwesenheit einiger Priester von Sappada (wenngleich dies weniger häufig vorkam als das Wirken von Priestern aus Zahre in Sappada).
Um die Mitte des 19. Jh. übersetzte Mons. Giorgio Plozzer den Katechismus in den Dialekt von Zahre. Solange es Pfarrer gab, die sich im lokalen Dialekt äußern konnten, er folgten die Predigten und Beichten im Dialekt von Sauris. Eine Reihe von Kreuzwegbildern mit deutschen Inschriften in der Kirche S. Lorenzo von Plozn/Sauris di Sopra und ein recht reichhaltiges Repertoire von Gebeten im Dialekt von Zahre lassen annehmen, dass auch bei den paraliturgischen Äußerungen des Glaubens die lokale Sprache bevor zugt wurde.
In den letzten Jahrzehnten lebten dank zweier sensibler und der lokalen Kultur gegenüber aufgeschlossener Priester gesprochene und vertonte Texte des religiösen Gutes von Zahre, darunter die Sternsingerlieder und einige Gebete, wieder auf. Seit einem Jahr wird bei der Sonntagsmesse das Vaterunser im Dialekt von Sauris gebetet (Übersetzung von Ferrante Schneider). Einigen Sprachwissenschaftlern und lokalen Kulturfreunden ist außerdem die Übersetzung von Abschnitten der Heiligen Schrift und der »Zahrar Meisse« (Messe von Zahre) zu verdanken, die der Chor »Zahre« zum ersten Mal im Jahr 2000 aufgeführt hat.
Im Jahr 1990 wurde auf Betreiben des Lehrers Ferrante Schneider der Dialekt von Zahre in der Schule von Zahre in Form von Freifächern für die Volksschulkinder eingeführt. Der Lehrer Schneider fertigte Übersetzungen von Märchen und vertonten Kinderreimen an und stellte ein Heft mit graphisch phonematischen Elementen zusammen12. Schneiders Arbeit setzte in den letzten Jahren die Lehrerin Novella Petris fort. Im Schuljahr 1996/97 wurde der Unterricht des Dialekts und im Dialekt von Zahre aufgrund des Versuchsprojekts (Gesetz 297/94, Art. 278) »Aufwertung und Schutz des Kultur und Sprachgutes der fremdsprachigen Insel von Zahre/Sauris, Udine« verpflichtend eingeführt.
Derzeit werden die Sprache und Kultur von Zahre/Sauris im Kindergarten (fünf Kinder) und in der Volksschule (vierzehn Kinder) unterrichtet (8 Wochenstunden). Gelegentlich werden Personen des Ortes als »Experten« für die Übersetzungen herangezogen. Als sehr nützlich erwies sich die Unterstützung der Universität Udine (Lehrstuhl für Didaktik der modernen Sprachen), in Zusammenarbeit mit welcher das Buch »Der Relé unt de glikhlikhat« (viersprachiger Text: Italienisch, Friaulisch, Dialekt von Zahre und von Tischlbong/Timau) und die Videokassette »Bielscrivint« entstanden sind. Da der Lehrer über keine fertigen Lehrmittel verfügte, musste er im Laufe der Jahre selbst das Material sammeln, das er für seine Arbeit benötigte. Diese Unterlagen fließen in ein Lesebuch für die Volksschule ein, das demnächst erscheinen wird.
Trotz der Begeisterung und des Einsatzes von Lehrern und Kindern erscheinen die Ergebnisse begrenzt, da keine Kontinuität über die Volksschule hinaus gesichert ist und der Dialekt im Familienkreis nur in geringem Maße erlernt wird.
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1 Neben den genannten Forschern ist auch Battisti zu nennen, dem zufolge sich die deutschen Sprachinseln Friauls "in relativ junger Zeit" (Abschnitt des Mittelalters) von jener Art Bayrisch des Alpengebietes abgeleitet haben, das östlich von Olang im Pustertal gesprochen wird, d. h. vom modernen Kärtnerischen" (C. Battista, La parlate tedesca, in G. Marinelli, Guida della Carnia e del Canal del Ferro. Nuova edizione ..., a.a.O., S. 87). Eine Untersuchung der linguistischen Erscheinungen des Dialekts von Zahre bieten: L. Lucchini, Saggio ..., a.a.O., S. 15-18, G. Lorenzoni, La toponomastica di Sauris ..., a.a.O., S. 12-21, N. Denison, Elementi di toponomastica..., a.a.O. Aufschlussreich, wenngleich nicht vollständig, ist auch Ferrante Schneider, Dialetto saurano, Fonologia e grafia, cenni di grammatica, sostantivi ed altro, Sauris-Zahre, Gemeinde, 2000.
2 Norman Denison bezeichnete Zahre als "ein Sprachlaboratorium, ein wahres Paradies für den Sprachwissenschaftler", der in Zahre, wie in den anderen Sprachinseln, Anregungen für die Untersuchung von Fragen der Mehrsprachigkeit und ..., Kontakten unter Sprachen, Sprachkompetenz usw. findet (N. Denison, Spunti teorici e pratici…, a.a.O., S. 169).
3 G. Lorenzoni, La toponomastica di Sauris…, a.a.O., S. 12–13.
4 N. Denison, Spunti teorici e pratici…, a.a.O. S. 171–172.
5 N. Denison, Friuli:laboratorio(socio)linguistico, in G. Fornasir – G.P. Gri (a cura di), La cultura popolare in Friuli “Lo sguardo da fuori”, Atti del convegno di studio, Udine, Palazzo Mantica, 21-XI-1992, Udi- ne, Accademia di Scienze, Lettere e Arti, 1992, S. 52.
6 N. Denison, Spunti teorici e pratici…, a.a.O., S. 172.
7 Ebd.
8 L. Lucchini, Saggio…, a.a.O., S. 11–12.
9 "Für die Bewohner der kleineren Orte ist es ein elementares Bedürfnis, sich dem Sprachverhalten von angesehenen und einflussreicheren Orten anpassen zu können, was nicht nur wirtschaftliche, sondern auch psychologische Gründe hat (...). In der Vorstellung vieler Einwohner von Zahre hatte ihre Mundart nicht den Stellenwert einer Sprache, sondern den eines Provinzidioms. Dem zufolge hatten sie keine strukturelle Ganzheit zu verteidigen. Außerdem wäre eine solche Verteidigung gegen das Eindringen von Sprachsubstanz und/oder Sprachstrukturen des Friauliscen und Italienischen bedeutungslos im Hinblick auf die Kommunikation gewesen, da all jene, die den Dialekt von Zahre verstanden, auch Friaulisch und Italienisch verstanden" (N. Denison, AnavierbörtlaninTsarars, in D. Cozzi – D. Isabella – E. Na- varra (a cura di), Sauris/Zahre…, a.a.O., S. 36–37).
10 F. Cattarin, Saurano e timavese: tradizione, integrazione, innovazione, Doktorarbeit, Fakultät für Fremdsprachen und Literatur, Universität Udine, a.a. 1999/2000.
11 Um ein vollständiges Bild der Sprachkundigen zu erhalten, müsste man die Untersuchung auf die von Zahre abgewanderten Personen erstrecken, zumindest auf jene, die in der Region ansässig sind (nach dem Modell der Sprachzählung, die die Provinz Trient für das Jahr 2001 durchgeführt hat). Viele von ihnen kehren oft in die Heimatgemeinde zurück, wo sie Gelegenheit haben, mit Verwandten und Freunden den Dialekt von Zahre zu sprechen. Auch in den Familien, in denen beide Ehepartner aus Zahre stammen, wird häufig dieser Dialekt genutzt.
12 Ein Teil dieser Unterlagen wurde in Ferrante Schneider, Dialetto saurano…, a.a.O. aufgenommen.
Die deutschsprachigen Gemeinschaften von Friaul Julisch Venetien genießen aufgrund des Gesetzes 4 vom 15. Februar 1999 den besonderen Schutz der Region. Das Gesetz sieht die Finanzierung von Projekten zur Erhaltung und Aufwertung der lokalen Kultur und Sprache vor.
Dank diesem Gesetz war es möglich, eine Reihe von Vorhaben durchzuführen: die Veröffentlichung von Studien und Forschungsarbeiten über den Dialekt von Zahre und die lokale Kultur; die CD Aufzeichnung der »Zahrar Meisse« und die Publikation ihrer Partitur; die Abhaltung von themenbezogenen Ausstellungen im Centro etnografico (Ethnographisches Zentrum) von Plozn/Sauris di Sopra und die Zusammenstellung einer Videokassette zu Lehrzwecken über die Holzverarbeitung (»Bie d’ont ‘s hölz gorbatet«); die Untersuchung und Katalogisierung der Paramente und der sakralen Gegenstände der Kirche S. Osvaldo, die im Centro storiografico (Historiografisches Zentrum) von Dörf/Sauris di Sotto zu sehen sind, und die Bereitstellung (in demselben Zentrum) von multimedialem Material über den Ursprung, die Geschichte und die Sprache der Gemeinschaft.
In den ersten Jahren der Anwendung wurden mit dem Regionalgesetz 4/99 nur die von den Gemeindeverwaltungen eingereichten Projekte finanziert; ab 2003 haben auch andere lokale Körperschaften und Verbände Zugang zu den Subventionen.
In den letzten Jahrzehnten haben der Wunsch nach sozialer und kultureller Anerkennung und das Streben nach Würdigung des Brauchtums und der Werte, die in der Geschichte der Gemeinschaft verwurzelt sind, zu zahlreichen Aktivitäten Einzelner oder von Vereinigungen des Ortes geführt.
Es war bereits von der Rolle der lokalen Kirche beim Wiederaufgreifen einiger religiöser Bräuche die Rede. Das Pfarrblatt »De Zahre reidet« (die Zahre spricht) veröffentlicht seit über dreißig Jahren in jeder Nummer Beispiele von Dichtung und Prosa im Dialekt von Zahre, Arbeiten der Kinder der lokalen Volksschule, Artikel und Informationen zur Geschichte und zu den religiösen und anderen Bräuchen der Gemeinschaft.
Im Pfarrbereich entstand 1975 der gemischte Chor »Zahre«, der von Beginn an das Ziel verfolgte, bodenständiges musikalisches Gut – sowohl das religiöse (altdeutsche Weihnachtslieder), als auch das weltliche (Balladen und Liebeslieder im Dialekt von Zahre) wiederzuentdecken und aufzuwerten. Das sofort von Kulturvereinigungen und -pflegern jenseits der Alpen bewiesene Interesse ermöglichte es der Gruppe, mehrmals in Österreich und Deutschland aufzutreten und sowohl in Italien als auch im Ausland Fahnenträger der Kultur und Identität von Zahre zu werden. Im Laufe der Jahre wurde das Repertoire um friaulische Villanellen, Stücke sakraler Musik und italienischer und ausländischer Volksmusik, Originalkompositionen zeitgenössischer, vor allem friaulischer Musiker erweitert. Der Einsatz für die lokale Musiktradition blieb jedoch der Schwerpunkt der Aktivität, wie das Projekt »Zahrar Meisse« beweist, das anlässlich des Heiligen Jahres 2000 abgeschlossen wurde. Dieses Werk, das aus dem Wunsch eines Chorsängers nach einer Messe in der Muttersprache heraus entstand, verbindet einen Text im Dialekt von Zahre (Übersetzung der kanonischen Teile der lateinischen Messe von Tiziano Minigher) mit der vom Maestro Mauro Vidoni neu komponierten Musik, die sich jedoch an melodische Passagen alter Gesänge von Zahre/Sauris anlehnt1.
Die Mitgliederzahl des Chores Zahre schwankte im Laufe der Zeit zwischen 25 und 35, die Chorleitung unterstand hintereinander Don Guido Manfredo (sechzehn Jahre), Ferrante Schneider (ein Jahr), Mauro Vidoni (zehn Jahre); nun dirigiert Maestro Mario De Colle. Die Rolle des Chores in der Gemeinschaft war und ist auch in sozialer Hinsicht bedeutend, da er einen Bezugspunkt und ein starkes Element des Zusammenschlusses und der Begegnung von Personen verschiedener Generationen darstellt. Zur liturgischen und Konzerttätigkeit des Chores kamen außerdem Instrumentalkurse für Kinder und das internationale Musikfestival »Zahrarmonie«, wie auch die Unterstützung folkloristischer und kultureller Veranstaltungen hinzu.
Ebenso langen Bestand hat die kulturelle Vereinigung »Circolo Culturale Saurano Fulgenzio Schneider«, die 1976 auf Betreiben einiger Personen entstand. Ihre tiefe Liebe zur Sprache und Kultur der Gemeinschaft drängte sie, den Aktivitäten einen offiziellen Anstrich zu geben, die zuvor schon sowohl durch Einzelne – Gedichte oder Recherchen über die lokalen Gebräuche – als auch gemeinschaftlich – Treffen zur Erörterung verschiedener Themen – betrieben worden waren. Diese Vereinigung, die 1985 eine formelle Satzung annahm, arbeitete Jahre hindurch für die Aufwertung, den Schutz und die Förderung der Kultur von Zahre/Sauris mittels Vorhaben, die vielleicht nicht aufsehenerregend waren, aber entscheidend dazu beitrugen, dass es der Bevölkerung bewusst wurde, über einen Schatz zu verfügen, der nicht verloren gehen darf. In dem Zusammenhang sind verschiedene Initiativen zu nennen: 1980 eine Reihe von Veranstaltungen zur Erinnerung an das 700jährige urkundliche Bestehen des Ortsnamens Sauris/Zahre mit einer internationalen Studientagung und einer Foto und Handwerksausstellung; Zusammenarbeit mit Universitäten und italienischen und ausländischen Vereinigungen, darunter die »Sprachinselfreunde« von Wien und »Freunde der Zimbern« von Salzburg; Interesse an der Zusammenstellung eines Wörterbuchs für den Dialekt von Zahre/Sauris und Italienisch, herausgegeben vom Prof. Denison; Aufzeichnung von Gesprächen mit älteren Menschen zur Rekonstruktion der Lokalgeschichte; 1992 die Veröffentlichung »Raccolta di antiche tradizioni ed avvenimenti fino ai giorni nostri di Sauris«, anastatischer Druck einer handschriftlichen Aufzeichnung von Fulgenzio Schneider.
Das war das letzte bedeutende Vorhaben, dem einige Jahre der Krise und Untätigkeit folgten, da es schwer war, vor allem unter den Jugendlichen neue Kräfte für einen Führungswechsel der Vereinigung zu finden.
Im Jahr 2002 nahm der Circolo Culturale offiziell seine Tätigkeit wieder auf, stellte erneut die Kontakte zu anderen Vereinigungen her und schloss sich dem Comitato Unita rio delle Isole Germaniche Storiche in Italia (Einheitskomitee der historischen Deutschen Sprachinseln in Italien) an. Im Lokalbereich wurden Abende der Sprache und Kultur von Zahre und eine Reihe von Theater Workshops veranstaltet.
In den letzten zehn Jahren führte auch der Fremdenverkehrsverein – neben Veranstaltungen touristisch gastronomischer Art – einige Vorhaben zur Wiedergewinnung und Aufwertung des lokalen Kulturgutes durch und griff zum Beispiel den traditionellen Karneval wieder auf. Der Verein verfügt über ein Archiv mit über 500 Fotografien, die das Leben und die Entwicklung der Gemeinschaft von Ende des 19. Jh. bis heute schildern. Zu ihrer Bekanntmachung wurden einige Fotoausstellungen veranstaltet, seit 1997 erscheint ein themenorientierter Kalender mit Texten auf Italienisch und im Dialekt von Zahre.
1994 wurde das Centro di informazione etnografica (Ethnographisches Informations zentrum) ins Leben gerufen, das aus der Zusammenarbeit zwischen der Gemeinde Zahre/Sauris und dem Centro Studi Regionali (regionales Studienzentrum), vor allem der Forschungsgruppe unter der Leitung von Prof. Gian Paolo Gri der Universität Udine, entstand. Die Gemeindeverwaltung erwarb ein altes Bauernhaus in Plozn/Sauris di Sopra, das ursprünglich Stall und Scheune war, und baute es so um, dass außen die Merkmale der Bauweise von Zahre bewahrt wurden und innen Ausstellungsräume und ein Konferenz und Versammlungsraum entstanden. Das ethnographische Zentrum, das als Ort des Zusammentreffens lokaler Kulturinteressen (Vereinigungen, Schule, einzelne Kulturliebhaber) und Recherchen anderer Historiker und Körperschaften gedacht war, widmet sich Studien zur materiellen und symbolischen Kultur der Gemeinschaft und bringt die Ergebnisse durch Wechselausstellungen und Publikationen an die Öffentlichkeit. Von grundlegender Bedeutung ist sowohl in der Forschungsphase, als auch bei der musealen Darbietung die Mithilfe der Bevölkerung durch mündlich weitergegebene Informationen, die auf Band aufgezeichnet werden, und durch Leihgaben für die Ausstellungen.
Derzeit wird das Centro di informazione sulla storiografia locale (Informationszentrum zur lokalen Geschichtsschreibung) eingerichtet, das in den Räumlichkeiten des Pfarrhauses von Dörf/Sauris di Sotto Platz gefunden hat. Es bietet den Touristen durch grafisches und multimediales Material Hinweise zur Geschichte der Gemeinschaft und stellt auch einen Teil der Paramente und sakralen Gegenstände des Heiligtums S. Osvaldo aus.
In diesem Gebäude wurde 1997 auch die Gemeindebibliothek »Padre Luigi Lucchini« eröffnet. Neben den Institutionen und Vereinigungen wirken im Bereich der Kultur und des Sprachschutzes nach wie vor hingebungsvoll und mit großer Ausdauer verschiedene lokale Kulturpfleger. Tiziano Minigher Riglar, Gründungsmitglied und viele Jahre hindurch Präsident des Circolo Culturale Saurano, verfasste Gedichte im Dialekt von Zahre/Sauris und übersetzte einige Textstellen des Evangeliums. Er veröffentlichte in »De Zahre reidet« zahlreiche Artikel über die Sprache, die Geschichte, die Gebräuche und die Flora des Tales. Mario Plozzer brachte in derselben Zeitschrift heimatkundliche Beiträge und veröffentlichte Aufsätze über die Kirche S. Lorenzo und die Unione Cooperativa di Consumo (Verband der Konsumgenossenschaften)2. Augusto Petris, 25 Jahre lang Präsident des Chores »Zahre«, und die Lehrerin Novella Petris engagieren sich für die Aufwertung der lokalen Kultur und Sprache; bei Tagungen und Treffen mit externen Kulturinstitutionen berichten sie über ihre Arbeit. Bruno Petris va Plozn hat sich nicht nur mit den Ortsnamen seines Heimatortes Plozn/Sauris di Sopra, sondern auch mit de nen einer anderen deutschsprachigen Gemeinschaft des Karns, Timau/Tischlbong, be fasst3. Ihm ist die Gedichtsammlung »Testi saurani. Zarar stiklan« zu verdanken; er selbst schreibt auch Gedichte im Dialekt von Zahre, auf Friaulisch und Italienisch4. Auch Fern anda Plozzer verfasst Gedichte im Dialekt von Zahre und Italienisch.
Wir können hier nicht umhin, wieder auf Ferrante Schneider einzugehen, der mit Sachkunde und Leidenschaft den Unterricht der Sprache und Kultur von Zahre/Sauris in der lokalen Schule einführte und bei der Ortsbevölkerung unermüdlich auf die Bedeutung und den Reichtum dieser Kultur hinwies. Er hatte mit der Erarbeitung eines linguistischen Hilfswerks für die gesamte Gemeinschaft begonnen, doch sollte das Werk wegen seines verfrühten Ablebens im Jahr 1995 unvollendet bleiben5.
Die von der Gemeinschaft Zahre/Sauris für den Schutz und die Aufwertung des sprachlich kulturellen Gutes durchgeführte Arbeit fand oft die Unterstützung von externen Forschern und Körperschaften. Heute ist diese Hilfe im Hinblick auf die derzeitige Situation und die Zukunftsaussichten bedeutungsvoll.
Vorrangig ist erforderlich, bald über entsprechende Lehrmittel für Kinder und Erwachsene und über das von Prof. Denison begonnene Vokabular zu verfügen. Ebenso müssen dringend Zeugnisse aller möglichen Bereiche gesammelt werden – von den Ortsnamen über die Gastronomie zu den Volksmärchen –, damit dieses wertvolle Wissen, das einzig im Gedächtnis der Personen erhalten ist, nicht unwiderruflich verloren gehe. Um diese Ziele zu erreichen, ist ein Kraftschluss zwischen der Bevölkerung von Zahre/Sauris und externen Mitarbeitern notwendig.
Dank den jüngsten Bestimmungen für die Sprachminderheiten (Gesetz 482/99 und Regionalgesetz 4/99) mangelt es heute nicht an finanziellen Mitteln. Dennoch können weder die wirtschaftlichen Reserven, noch die von den Institutionen betriebenen Initiativen alleine der Sprache und den Traditionen von Zahre/Sauris eine Zukunft sichern, wenn nicht die Bevölkerung involviert wird und sich das Bewusstein breit macht, dass diese Sprache und diese Traditionen nicht nur wirtschaftliche und touristische, sondern vor allem auch menschliche Reserven sind. Diese Konzepte, die Denison vor einigen Jahren beispielhaft formulierte, können nicht oft genug betont werden: »Bei aufmerksamer Prüfung des linguistisch kulturellen Komplexes von Zahre (und anderer ähnlicher), wird es nach und nach besser verständlich, wie Sprachen und Kulturen entstehen, wie sie miteinander und in Konkurrenz zueinander wirken und wie sie – leider – sterben. Es wird uns bewusst, dass die Sprache nicht nur ein Mittel ist, dessen sich der Mensch bedient, sondern auch ein soziales, politisches, wirtschaftliches Verhalten, das einen Teil der Identität der Gruppe und des Individuums ausdrückt. Durch Teilnahme am Leben einer Gemeinschaft leistet man automatisch, vielleicht ohne es zu wollen, einen Beitrag zu ihrem sprachlichen Geschick. Es ist eigenartig, dass manche Menschen glauben, andere Personen oder Einrichtungen könnten für das Überleben (oder das Sterben) linguistischer Tradition verantwortlich sein.
Meine größte Genugtuung wäre, die Bevölkerung von Zahre – die gesamte Bevölkerung von Zahre – zu bewegen, weiterhin untereinander im Dialekt von Zahre zu sprechen (d.h., gegebenenfalls wieder zu seinem Gebrauch zurückzukehren oder im Fall der Kinder – auch ihnen muss wohl die Möglichkeit geboten werden, in Zahre zu bleiben! – ihn zu erlernen). Dies scheint so einfach und natürlich zu sein, doch aus vielen Gründen, auf die ich andernorts eingegangen bin, wird es sehr, sehr schwierig sein. Ich wünsche es mir jedoch, nicht weil der Dialekt von Zahre einen Aspekt der deutschen (oder österreichischen oder germanischen oder chinesischen) Kultur darstellt, sondern weil die linguistische Tradition ein unersetzlicher Teil der Geschichte und der Kultur der Bevölkerung von Zahre ist; ja, der Dialekt von Zahre – oder besser: de tsarar sˇproche, die Sprache von Zahre– ist der charakteristischste, ursprünglichste Aspekt der Bevölkerung von Zahre«6.
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1 Die Entstehung des Projekts der "Zahrar Meisse" und die linguistische und musikalische Wahl werden in Coro Zahre di Sauris (Hg.), De Zahrar Meisse, Sauris, 1999/2000 erläurtert.
2 M. Plozzer (Hg.), Storia della chiesa di S. Lorenzo M..., a,a,O. und 1920-1970, 50 anni..., a.a.O.
3 B. Petris, Toponimi germanici nella frazione di Sauris di Sopra. Saggio toponomastica di Sauris, Udine, La Nuova Base, 1975; ders., Tischlbong/Tamau/Timau, Udine, Grillo, 1980.
4 B. Petris, Testi saurani. Zarar stiklan, Udine-Baidn, Grillo, 1978. Einige Gedichte von Bruno Petris, Tiziano Minigher und Fernanda Plozzer wurden im Fotoband von Igino Durisotti Sauris Zahre, Arezzo, Immedia, 1999, veröffentlicht.
5 Einige Jahre später fasste die Gemeindeverwaltung in einem Band einen Teil der Unterlagen zusammen, die Ferrante bereits zusammengestellt hatte: Ferrante Schneider, Dialetto saurano..., a.a.O., neben phonologischen und graphischen Elementen und grammatikalischen Hinweisen wurden auch Sammlungen von Substantiven, Aufzeichnungen für ein Wörterbuch des Dialekts von Zahre, ein Glossar der Flora und Fauna und die eigens für die Volksschulkinder geschaffene Ballade "Der zahrar jeger" veröffentlicht.
6 N. Denison, Ana vier börtlan..., a.a.O., S. 29