"UNSARA IIS AN OLTA TAICA SCHPROOCH" - Beitrag aus 2012

Kennzeichnend für Friaul ist sein buntes Sprachengemisch: Deutsch, Friaulisch, Italienisch, Resianisch, Slowenisch, Tischlbongarisch, Windisch, Zahrisch kann man dort antreffen. Die beiden erwähnten Sprachinseln sind nicht sehr bekannt. Man muss sie schon ganz gezielt aufsuchen, durch Zufall kommt man kaum dort hin. Zwar reist der eine oder andere Tourist vom kärtnerischen Kötschach-Mauthen südwärts über den Plöckenpass Richtung Udine und dann an die Adria, aber am Straßendorf Tischlbong fährt er meistens vorbei, denn zurzeit weist noch kein Schild darauf hin, dass es sich hier um eine Sprachinsel handelt. Und kaum jemand verlässt zwischen Tolmezzo und dem Cadore die eh schon mühsame Straße, um einem versteckten Schild zu folgen, auf dem lediglich das Wort „Sauris“ steht. Wer hingegen in Tischlbong und in der Zahre nach verborgenen Kulturschätzen sucht und alte archaische Sprachformen hören mag, der wird fündig und für die Mühe des Fahrens und Suchens reichlich belohnt.

Zahre und Tischlbong in Friaul

Zahre und Tischlbong in Friaul

Tischlbong, ein geheimnisvoller Name

Die Einheimischen nennen ihr Dorf „Tischlbòng“ , mit der Betonung auf dem „o“; in vielen deutschsprachigen Publikationen findet man den Begriff „Tischelwang“; die Friauler sagen schlicht und einfach „Tamau“, auf der italienischen Ortstafel steht lediglich „Timau“ geschrieben. Laut dem Wiener Sprachforscher Eberhard Kranzmayer (1897–1975) soll der Begriff „Tischl“ aus dem Pflanzenbereich kommen (Täschel-Teschel-Hirtentäschel), und die Endsilbe „-wang“ findet man bei mehreren Ortsbezeichnungen im deutschen Sprachraum. Die italienische und friaulische Ortsbezeichnung geht auf den Flussgott „Timavus“ zurück; in der Tat, Tischlbong ist sehr wasserreich. Aus den unterschiedlichen Bezeichnungen lässt sich schließen, dass es sich bei der Ortschaft um eine sehr alte Besiedlung handelt: Zum einem führte über den Plöckenpass ja die römische Via Julia Augusta, und das Dorf war möglicherweise eine römische Straßenstation, zum anderen geht die Silbe „-wang“ auf die Zeit vor 1100 nach Christi zurück.

Tischlbong aus der Vogelperspektive

Tischlbong aus der Vogelperspektive

Schicksalsschläge bleiben dieser Gemeinde nicht erspart

Die Natur und die Geschichte haben es mit Tischlbong selten gut gemeint. Überschwemmungen, Erdrutsche, Lawinen, Erdbeben hat es gegeben. Im 17. Jahrhundert wird von „reißenden Wildbächen“ berichtet, im Jahr 1729 begrub ein zwei Tage dauerndes Unwetter das Dorf unter Stein, Geröll und Schlamm, übrig blieb lediglich die Kirche zu Ehren des Heiligen Kreuzes (dar olta got va Tischlbong). Daraufhin wurde das Dorf ein Stück weiter flussabwärts neu aufgebaut. Das hatte zur Folge, dass man heutzutage keine alte Bausubstanz mit kärntnerischem Charakter findet. Auf politischer Ebene setzte die napoleonische Verwaltung das althergebrachte System des gemeinsamen Nutzungsrechtes von Grund und Boden außer Kraft, später wurde das Dorf der Gemeinde Paluzza angegliedert und ab 1866 endgültig dem italienischen Reich einverleibt. Übrig blieb schließlich bittere Armut, verbunden mit der Notwendigkeit auszuwandern. Doch nicht genug damit, der Erste Weltkrieg schlug weitere tiefe Wunden in die Gemeinschaft von Tischlbong: unten in der engen Talschlucht das kleine Dorf, über ihm auf dem Gebirgskamm die österreichisch-italienische Kriegsfront, die sich ja über 700 Kilometer vom Ortler bis nach Karfreit-Kobarid in Slowenien erstreckte. Von den Italienern wurde die Bevölkerung argwöhnisch beäugt, handelte es sich laut ihnen doch um Deutsche, um mögliche Sympathisanten der Österreicher. In Tischlbong kommt man am „Großen Krieg“ halt einmal nicht vorbei.

Sterbebildchen der Maria Plozner Mentil, TischlbongZu erwähnen ist da der Name Maria Plozner Mentil. Maria Plozner war eine der vielen „portatrici“, der Trägerinnen. Diese hatten die Aufgabe, die Soldaten oben an der Front vor allem mit Lebensmitteln zu versorgen, und Munition werden sie wohl auch mitgeschleppt haben. Mit Buckelkörben stiegen die Frauen in kleinen Gruppen die steilen Pfade hinauf zu den Soldaten, mit 40 Kilogramm schwer beladen, täglicher Höhenunterschied auch bis 1200 Meter. 223 Trägerinnen sollen allein aus dem Gemeindegebiet gekommen sein. Maria Plozner fiel an der Front einer Kugel zum Opfer, daheim waren vier Kleinkinder geblieben. Auf dem Platz neben der großen Kirche ist allen karnischen Trägerinnen ein Denkmal gesetzt. Schließlich hat im Jahr 1976 auch das Erdbeben in Friaul seine Spuren hinterlassen. Da grenzt es schon fast an ein Wunder, wenn es immer noch Menschen gibt, die dort wohnen wollen und sich daheim fühlen, die Sprache, Kultur und Brauchtum immer noch pflegen.

 

Sterbebildchen der Maria Plozner Mentil,
Tischlbong

Tischlbong, von innen gesehen

Tischlbong hott draihundartnainanainzk ainbonara (Tischlbong hat 399 Einwohner), so steht in einer Mitteilung aus dem Frühjahr 2011 geschrieben. Eine kleine Gemeinschaft also, in einem wenige hundert Meter langen Straßendorf zusammengepfercht, drei Kirchen, aber das Wichtigste vorhanden, was für die Nahversorgung des täglichen Lebens hilfreich sein kann. Der Fremdenverkehr beschränkt sich im Großen und Ganzen auf Kulturtourismus, auf Besucher, die diese Gemeinschaft kennen lernen wollen, die erfahren möchten, wie es diesen Menschen dort sprachlich und kulturell geht.
Wie schwer die Kulturarbeit sein kann, geht aus folgender Erfahrung hervor: Da wollten doch die Tischlbongar eine Ortstafel aufstellen mit der Bezeichnung „Tischlbong“. Aber das Vorhaben war nicht von Dauer, wie ich erfahren konnte. Eine Tischlbongarin beschwerte sich, dass täglich viele Autos mit überhöhter Geschwindigkeit am Dorf vorbeisausen würden und dass niemand einkehren würde. Etwas provokativ stellte ich die Frage, warum ich als Autofahrer einkehren sollte, denn nichts weise darauf hin, dass hier etwas Besonderes zu sehen sei, dass es sich hier um eine deutsche Sprachinsel handle. Die enttäuschte Antwort lautete, dass die Gemeinde sehr wohl Tafeln mit dem Wort „Tischlbong“ aufgestellt hätte, dass aber die staatliche Straßenverwaltung angebliche Sicherheitsgründe bzw. Zuständigkeitsvorschriften angemeldet hätte und dass die Tafeln wieder abgetragen werden mussten. Die Tafeln rosten immer noch in einem Abstelllager dahin. Wer aber trotz fehlendem Ortsschild ins Dorf hineinfindet, sich umschaut und umhört, wird reichlichst belohnt.
Die Kirchen: Drei Kirchen hat das Dörfchen – die Pfarrkirche, mitten im Dorf und Felswände im Rücken; die Kirche zum „oltn got“, die heute als Gedächtnisstätte etwa 1700 sterbliche Überreste von italienischen und österreichisch-ungarischen Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg beherbergt, und schließlich die „groassa khircha“, nach dem Zweiten Weltkrieg erbaut. Für ein solches Dorf hat diese Kirche nahezu gigantische Ausmaße, ist sie doch 58 Meter lang, 24 Meter breit und 21 Meter hoch. In der Kirche selbst steht im Altarraum ein Riesenkreuz, angefertigt vom Grödner Bildhauer Peppi Senoner (1975), ebenfalls von gigantischem Ausmaß. Das Kreuz hat eine Höhe von zwölf Meter und wiegt mehr als drei Tonnen, der Gekreuzigte selbst ist sechseinhalb Meter hoch, der Kopfdurchmesser des Gekreuzigten misst 90 Zentimeter, der Gekreuzigte allein wiegt 15 Zentner.

Das Kreuz in der großen Kirche von Tischlbong

Das Kreuz in der großen Kirche von Tischlbong

Christus in der großen Kirche

Christus in der großen Kirche

Tischlbonger Zeitzeugen erzählen den Besuchern eindrucksvoll vom Kirchenbau, an dem sie mitgearbeitet haben. Zu Beginn der Bauarbeiten gleich nach dem Zweiten Weltkrieg standen eine Million Lire zur Verfügung, für damalige Verhältnisse eine riesige Summe. Über die Herkunft dieses Geldes ranken sich allerlei Geschichten. Tatsache ist, dass die Kirche gebaut wurde, das Geld reichte aber nicht mehr für einen Turmbau.

Sprache: Zu Beginn der 80er Jahre, als auch unter den europäischen Minderheiten ein Besinnen auf die eigenen Wurzeln erwachte, mögen sich auch die Tischlbongar gedacht haben, „is bol zait“, etwas zu unternehmen, bevor die Sprache endgültig verlorengeht, und begannen eine Kulturzeitschrift herauszugeben. Seit 1984 nennt sie sich „asou geats … unt cka taivl varschteats“. Darin ist in drei Sprachen geschrieben – in Tischlbongarisch, in Friaulisch, in Italienisch (auch Belesch genannt) – eben in den drei Sprachen des Ortes. Die Zeitschrift ist in erster Linie für die Bewohner des Dorfes gedacht, aber sie geht auch an die Heimatfernen und an Interessierte. Somit findet man das Blatt in Österreich, in der Schweiz, in Deutschland und in Luxemburg, natürlich auch in Südtirol sowie in Übersee. Seit mehreren Jahren wird „asou geats“ auch durch eine wöchentliche Nachrichtensendung über E-Mail ergänzt. Da erfährt man dann das Neueste aus dem Alltagsleben und aus dem Dorfgeschehen, angefangen vom Wetterbericht hin über die politischen Ereignisse bis zum Sport. Geschrieben wird natürlich in Tischlbongarisch, mit Übersetzung in „Belesch“. Über mehrere Jahre hindurch wurden sogar wissenschaftliche Jahrbücher herausgebracht, die so genannten „Tischlbongara Piachlan“. Bei allen Sprachinseln wurden die mittelalterlichen Sprachformen lediglich mündlich weitergegeben. Erst in letzter Zeit gingen die Gemeinschaften daran, die Sprache festzulegen und zu verschriftlichen. Seither hält man sich an festgelegte Schreibregeln. Auch in Tischlbong wurden in jahrelanger mühsamer Kleinarbeit Wörter und Begriffe gesammelt und deren Aussprache und Schreibweise festgelegt – in Tischlbong unter wissenschaftlicher Beratung und Betreuung von Frau Dr. Ingeborg Geyer aus Wien. Heute liegt das „Bartarpuach vo Tischlbong“ vor, mehr als 600 Seiten dick. Kein Wunder, dass man 2010 Frau Geyer zur Ehrenbürgerin (ainbonarin) von Tischlbong erhoben hat. Nicht genug mit den genannten Publikationen: Es gibt derer eine ganze Reihe: Gedichtbände, Sprichwörtersammlungen, Berichte aus vergangenen Tagen (Da oltn darzeilnt), Schul- und Kinderbücher und sonst noch allerlei Büchlein und Veröffentlichungen. Eine wahre Fundgrube zur Tischlbongara Sprooch stellt der jährliche Kalender dar. Für die Sprachpflege wird somit sehr viel getan, denn man ist sich über den kulturellen Wert der eigenen Sprache voll bewusst. Ausgedrückt ist das auch im Satz „Unsara iis an olta taica schprooch as nizz hott zan tianan min modernischn zungan as in da Europeischn Lendar bearnt ckreit.“ (Unsere ist eine alte deutsche Sprache, die nichts mit den modernen Sprachen zu tun hat, die in den europäischen Ländern geredet werden.) Selbstverständlich wird die Sprache auch in der Schule unterrichtet, allerdings nur für wenige Stunden in der Woche; dafür haben die Kinder eine muttersprachliche Lehrerin. Kultur: Neben der intensiven Sprachpflege wird auch dem Kulturellen großes Augenmerk geschenkt. Bis vor etwa einem halben Jahrhundert hat man das Scheibenschießen gepflegt – ein Brauch, wie er heute noch bei uns im Vinschgau bekannt ist. Aber wer dächte schon daran, dass es in diesem 400-Seelen-Dorf zwei Tanzgruppen gibt, eine für die Kinder, „Is güldana pearl“ genannt, die andere für Erwachsene, die so genannten „Jutalan“, die schon mehrmals auch in Wien aufgetreten sind. Dazu kommt natürlich ein Chor, selbstverständlich werden weltliche und kirchliche Feste gefeiert, die Tischlbongara Küche hat im Laufe der Jahreszeit allerlei Typisches anzubieten: chropfn, chneidl, holdarmuas, chraut, und für Süßspeisen braucht man halt bazzameal, baimparlan, putar und zukar. Hervorzuheben ist auch die enge Beziehung zu Kötschach-Mauthen: Kirchtage werden mitsammen gefeiert, die Teilnahme an Bittgängen hinüber und herüber ist nahezu Pflicht. Viele Tischlbongara finden auch Arbeit in den beiden Kärntner Dörfern jenseits des Plöckenpasses, vor allem im Dienstleistungssektor. Viele Familiennamen haben eindeutig deutsche Wurzeln, etwa Namen wie Plozner, Matiz, Unfer, Ebner, Primus, Muser. Innerhalb der Gemeinschaft setzt man zum Familiennamen häufig noch den Herkunftsnamen dazu, verbunden mit dem Wort „van“ (Velia Plozner van Ganz, Beppino Matiz van Messio, Alessandra Primus van Polak).

Die Zahre, ein Tiroler Bergdorf

Jutalan, Wien

Jutalan, Wien

Die Wiener Autorin Susanne Schaber bezeichnet die Zahre als einen „Platz zum Abtauchen und Verschwinden, einen verborgenen Ort, von dem kaum jemand weiß“. Eine wildromantische Straße führt von Ampezzo durch die Lumieischlucht hinauf in die Zahre, für Busse ab einer Höhe von 3,70 Meter sowieso nicht befahrbar. Da stürzt ein Gebirgsbächlein über die Knotten herunter und trägt schlicht und einfach den Namen „Nierpechle“ oder „Plotenpoch“ ohne jegliche tolomeische Verunstaltung. Fast auf der Höhe angelangt, begegnet uns eine 130 Meter hohe Staumauer, in den 1940er Jahren die höchste Staumauer Italiens. 70 Millionen Kubikmeter Wasser fasst der Stausee und ist so groß, dass er das Klima des Dorfes mit beeinflusst. Bald schon wird man bei den ersten Häusern recht freundlich in der Zahrar Sproch begrüßt: „De Zahre tueta griessn.“ Durch das Sichtbarmachen der Ortssprache merkt der Fremde, dass er sich nun in einer kulturell ganz besonderen Gegend befindet, sein Interesse zum näheren Fragen und Forschen ist geweckt. Und plötzlich tut sich eine Lichtung auf, ein einzelner Heustadel steht da, dann noch ein paar andere, schließlich schaut einem vom Hang herunter das Dorf entgegen, mit Häusern wie in Tirol, mit Stall und Stadel, mit Geranien, Blumengärten, sauber aufgestocktem Holz an den Hauswänden, die Wege blitzblank sauber. Man ist in der Unterzahre, im „Dörf“, wie die Einheimischen sagen. Man kann in die Oberzahre hinauffahren, nach „Plozn“, wie es dort heißt, hinauf auf 1400 Meter, vorbei an alten, verwitterten Häusern, dann ist Schluss, ein Bus kann gerade noch wenden, muss aber unweigerlich wieder zurück. Besiedelt wurde das Gebiet um die Mitte des 13. Jahrhunderts, vermutlich aus der Gegend des Hochpustertales und des kärntnerischen Lesachtales. Aber wie auch bei anderen Sprachinseln gibt es diesbezüglich verschiedene Erzählungen, Vermutungen, Legenden.

Die Zahre, von innen gesehen

Irgendwo habe ich gelesen: „De Zahre ot 400 bounar“, so sagen die Zahrar selbst. Und diese 400 Menschen leben im höchstgelegenen Dorf von ganz Friaul. Wer den mühsamen Weg hinauf in die Zahre auf sich genommen hat, wird von einem plötzlichen Staunen übermannt werden. Das Dorf lädt geradezu ein zum Verweilen und vielleicht auch zum Bleiben. Man sagt ja, wer in die Zahre kommt, weiß, wann er ankommt, weiß aber nicht, wann er wegkommt. Da gibt es so viel zu sehen und zu bestaunen, zu hören und zu erleben: Kunst, Handwerk, Architektur, Natur, Musik, die Zahrar Sprooch.

Unterzahre-Dörf

Unterzahre-Dörf

Die Kirchen: Die Kirche in der Unterzahre ist dem hl. Oswald geweiht. Ein König und Märtyrer aus Northumbria (Schottland) soll der „Noas“, wie er im Dorf liebevoll genannt wird, gewesen sein. Ein Wallfahrtsort war und ist diese Kirche seit Menschengedenken. In den Kirchen zeigt sich die frühere Verbindung zwischen Zahre und Tirol: In beiden Kirchen ist ein spätgotischer Flügelaltar zu bewundern, hergestellt in der Werkstatt des Meisters Michael Parth aus Bruneck in der Unterzahre im Jahr 1524, in der Oberzahre im Jahr 1551. In der Kirche der Oberzahre, dem hl. Lorenz geweiht, sind auch deutschsprachige Stationstafeln angebracht.

De zahrar sproche: Wir Südtiroler kommen relativ gut zurecht mit der Zahrar Sproche. Aber auch diese Sprache ist im Laufe der Jahrhunderte nur mündlich weitergegeben worden. Zwar haben sich inzwischen einheimische Geistliche um das Aufschreiben von Sprache und Brauchtum bemüht, aber erst seit ein paar Jahren gibt es ein Zahrer Wörterbuch, verfasst mit Hilfe und wissenschaftlicher Beratung durch die Grazer Professoren Norman Denison und Hans Grassegger. Darin findet man Unmengen von Begriffen, wie man sie auch in Südtirol kennt, etwa „labe“ (Hausgang) „pirl“ (oberes Stockwerk im Stadel), „batse und rouke“ (Weizen und Roggen), „hone“ und „vocke“ (Hahn und Schwein) und viele andere, vor allem aus der Landwirtschaft. Natürlich gibt es auch sonst eine Menge von Büchern und Broschüren in und über die Zahrar Sproche, zur Toponomastik und zum Brauchtum aus den letzten Jahrzehnten. Besonders hervorzuheben sind da die Texte zu den „Bainachtliedlan“, deren Wurzeln sowohl textlich als auch melodisch mehrere Jahrhunderte alt sind. 

Oberzahre-Plozn

Oberzahre-Plozn

Zahre: SchilderDie Verantwortlichen des Kulturvereins „Fulgenzio Schneider“ bemühen sich sehr intensiv um das Sichtbarmachen ihrer Sprache. Am Gemeindehaus steht neben „Municipio“ das Wort „Gomande“. Ein recht sympathisches Sichtbarmachen erfolgt auch auf den Kassazettelchen von Geschäften und Gastbetrieben. Bei uns heißt es üblicherweise „Danke-Grazie-Thank you“, in der Zahre hingegen ganz einfach und einsprachig „der tuena donkhn und griessn“, was so viel heißt wie „Danke und auf Wiedersehen“, also ohne anderweitiges Sprachengewirr.

Letzthin hat der Kulturverein auch Raumbeschilderungen herstellen lassen, und zwar in größeren Lettern auf Zahrarisch und in kleineren auf Italienisch. Beim so genannten stillen Örtchen heißt es dann „baiber-donne“ oder „mone-uomini“, der Hinweis auf den Ruhetag wird mit „rostntokh-riposo“ angegeben. Und ganz selbstbewusst nennen die Zahrar ihr Dorf „Zahre mai lont“. Die Sprache wird auch in der Schule unterrichtet, allerdings nur im Rahmen der wenigen Wochenstunden, die das Gesetz zulässt. Dafür steht eine muttersprachliche Lehrerin zur Verfügung, aber die nötigen Lehrmittel müssen mit großen Opfern selbst hergestellt werden.

Zahre: Schilder

 

Reiche, kulturelle Tätigkeit

St.-Oswald-AltarDas kleine Bergdorf hat auch zwei wunderschöne Museen. Das eine ist im Widum neben der Pfarrkirche untergebracht. Es handelt sich dabei um ein schmuckes, sakrales Museum, ausgestattet mit wertvollen Paramenten und liturgischen Gegenständen. Das andere ist ein Heimatkundemuseum, hergerichtet in einem alten Stadelgebäude in der Oberzahre. Die jahrhundertelange Abgeschiedenheit hat sicherlich dazu beigetragen, lebendiges Brauchtum zu erhalten. Der Zahrar „Voschank“ (Fasching) gehört genauso zum Dorfleben wie das Stearnliedlesingen oder die jährliche mehrtägige Wallfahrt nach Maria Luggau in Kärnten zusammen mit den Pilgern aus dem benachbarten Plodn (Sappada). Besonders zu erwähnen ist der im Jahr 1974 gegründete gemischte Chor, bestehend aus etwa 20 Mitgliedern. Er singt vor allem Zahrer Liedgut, aber auch Lieder in Deutsch, in Friaulisch, in Italienisch und in Latein.

Besonders beeindruckend scheint mir das „Inser Woter“, eigens für den Chor auf der Grundmelodie des Choral- Vaterunsers komponiert; mittelalterliche archaische Klänge scheint man zu hören. Wie die Chormitglieder selbst sagen, ist es vor allem der Chor, der die Dorfgemeinschaft so richtig zusammenhält, es ist aber auch das hohe Niveau und der Erfolg dieser Gemeinschaft, der die Mühen von Proben und Konzertreisen immer wieder vergessen lässt.

St.-Oswald-Altar

Wirtschaftliche Aspekte

Die Zahre hat das Glück, wirtschaftliche Tätigkeiten aufzuweisen. In erster Linie ist ein Schinkenverarbeitungsbetrieb zu erwähnen. Er gibt etwa 60 Menschen aus dem Dorf Arbeit und Brot, und somit ist eine drohende Abwanderung fast ganz gestoppt. Trotz der verschiedenen Verlockungen vor einigen Jahren, den Betrieb in die Ebene hinunterzuverlagern, entschied sich die Firmenführung, im Ort zu bleiben; wie sich heute herausstellt, eine weise Entscheidung für den Betrieb wie für Bevölkerung. Ein weiteres wirtschaftliches Standbein bildet eine kleine Bierbrauerei: Zahrer Bier wird dort gebraut, ein rotes und somit etwas Besonderes, aber gerade deshalb wirtschaftlich so interessant. Zur handwerklichen Tätigkeit gehören dann kleinere Familienbetriebe im Bereich von Schnitzhandwerk, Weberei, Sägerei, Innendekoration. Neben den wenigen Gastbetrieben gibt es aber den so genannten „albergo diffuso“: Es handelt sich dabei um ein Dienstleistungssystem, welches zentral verwaltete Zimmervermietungsangebote unterbreitet. Entstanden ist das System nach dem Erdbeben von 1976 in Karnien, um verlassene Häuser oder Häusergruppen dem Tourismus zur Verfügung zu stellen. Heute wirkt sich der „albergo diffuso“ insofern positiv aus, als Beherbergungsstrukturen zur Verfügung stehen, ohne dass monstruöse Neubauten aus dem Boden gestampft werden müssen. Durchaus deutsch klingende Familiennamen findet man natürlich auch in der Zahre; sie lauten unter anderem Schneider und Plozzer. Am häufigsten ist der Familienname Petris anzutreffen; er muss aber nicht notgedrungen deutschen Ursprungs sein. Wie die Zahrer Sproch klingt, erahnt man sehr gut, wenn man das Gebet zu den vierzehn Engeln, zumindest halblaut, vor sich hin sagt:

In Göttas nome haint gei schlofn,
Vierzan Eingln vieri mit mier:
Zbeana pame Koupfe,
zbeana pan Viesse,
zbeana ander gerechtn saite,
zbeana ander geteinkn saite,
zbaeana as mi deiknt,
zbeana as mi beiknt,
zbeana as mi viernt
iber himblische Paradais. Omen.

Sprachinseln haben es schwer, weiterzukommen. Immer wieder wird von ihnen behauptet, sie seien beim Aussterben. Das hatte schon der deutsche Sprachforscher Johann Andreas Schmeller vor fast 200 Jahren von den Zimbern gemeint.

Tischlbong und Zahre - welche Zukunft?

Wenn man sich aber bei diesen Gemeinschaften umschaut, dann scheint die Sache gar nicht so dramatisch zu sein, wie oft dargestellt. In den letzten Jahren sind einige Dinge passiert, die wieder hoffen lassen: Da gibt es Freunde und Fachleute, vor allem im deutschsprachigen Ausland, die durch ihre wissenschaftlichen Tätigkeiten die Sprachinseln beraten und ihnen in ihrem Bemühen neuen Auftrieb geben. Da gibt es einige europäische und auch staatliche Normen, die den Gemeinschaften zumindest politischen Rückhalt zu geben versuchen. Da gibt es in letzter Zeit doch manche Menschen, die erkannt haben, dass nicht nur Tiere und Pflanzen zu schützen sind, sondern auch Sprachen von „Kleinvölkern“, bevor mit dem Tod eines letzten Sprechers eine Sprache unwiderruflich verlorengegangen ist. Da gibt es Gott sei Dank wieder mehr Menschen, die sich mit den Sprachinseln solidarisch zeigen und sie moralisch und vielleicht auch finanziell unterstützen, auch im Kleinen. Konkret in Friaul gibt es seit 2009 ein Regionalgesetz zum Schutz der deutschen Minderheiten in der Region, also zum Schutz von Tischlbong, der Zahre und des Kanaltales. Schließlich aber sind es die Menschen vor Ort selbst, die nicht nachlassen im Bemühen um den Erhalt und die Weitergabe der eigenen Kultur und Muttersprache. Und das scheint mir das Wichtigste zu sein. Solange das so ist, handelt es sich immer noch um „lebendige Sprachinseln“.